Evans besiegte den Rest der Welt

Die Entscheidung bei der Tour de France fiel in Grenoble mit dem Zeitfahren

  • Tom Mustroph, Paris
  • Lesedauer: 3 Min.

Australien jubelt. Luxemburg rollt die Fahne ein. Nach der herben Niederlage der Schlecks im Zeitfahren, die im Kampf Mann gegen Uhr mehr als zwei Minuten auf den Australier Cadel Evans verloren und mit den Podiumsplätzen 2 und 3 vorlieb nehmen mussten, rollten Fans aus dem Großherzogtum in ihrem Zeitfahr-Waterloo Grenoble traurig die Fahne mit dem roten Löwen ein. Daheim gebliebene Australier können sich hingegen über einen neuen Feiertag freuen.

Der Abgeordnete Ed Husic überzeugte Premierministerin Julia Gillard, gleich einen nationalen Festtag zu Ehren des Toursieges von Evans auszurufen. »Das ist ein historischer Moment wie 1983, als »Australia II« den America's Cup holte», begründete der Parlamentarier seinen Antrag und erinnerte australischen Medien zufolge an den legendären Ausspruch des damaligen Premiers Bob Hawke: »Jeder Arbeitgeber, der einen Angestellten feuert, weil er heute nicht erscheint, ist ein Trottel.«

Evans, der erste australische Toursieger und nach den US-Amerikanern Greg LeMond und Lance Armstrong auch erst der dritte Nicht-Europäer, fühlte sich sehr geehrt von soviel Aufmerksamkeit.

Es war dem Australier fast ein zu viel der Zuwendung. Denn Unterstützung ist er kaum gewohnt. »Er weiß, dass er sich nur auf sich selbst verlassen kann», meinte in ungewohnter Offenheit sein Sportdirektor John Lelangue. Das betrifft rennentscheidende Situationen wie etwa während Andy Schlecks Angriff am Izoard und Contadors Verzweiflungsattacke am Telegraphe. Dort war der BMC-Kapitän nicht nur weitgehend von den eigenen Leuten verlassen. Auch Konkurrenten mit ähnlicher Interessenlage wie der Italiener Basso und der Franzose Voeckler, der allein Evans Power-Performance einen weiteren Tag in Gelb zu verdanken hatte, lösten den Australier nicht in der Führungsarbeit ab. Eine gewisse Zurückgezogenheit prägten aber auch die ersten Lebensjahre des Australiers in einer Aborigine-Gemeinschaft ohne TV, Radio und Telefon. Auf die Tour bereitete er sich in einem Trainingslager in den Alpen, begleitet von Teamkollegen Steve Morabito (Schweiz) und beäugt von Schafen, vor. Der Aufenthalt in der Höhe sorgt für mehr rote Blutkörperchen. Für die Öffentlichkeit war Evans bis zu diesem Juli Außenseiter und ewiger Zweite. Sein WM-Sieg 2009 änderte an dieser Wahrnehmung wenig.

Er gewann die Tour durch viele alte und eine neue Qualität. Aufmerksam überstand er das Sturzfestival in der ersten Woche. In den Pyrenäen brauchte er deshalb die von ihm geliebte Defensivtaktik nicht aufgeben. Aber als er Dampf machen musste – am Galibier gegen Schleck, in L'Alpe-d'Huez gegen Contador – spannte er sich entschlossen vor das Verfolgerfeld. Jetzt ist er dank WM-Titel 2009, Toursieg 2011, einem Klassikererfolg (Fleche Wallone 2010 ) und dem Gewinn der UCI Pro Tour-Wertung 2007 der kompletteste Rennfahrer seiner Generation.

Die von ihm deutlich geschlagenen Gebrüder Schleck, denen ihr Zusammenhalt beim entscheidenden Zeitfahren nichts nutzte, versprachen in die Stimmung der eingerollten Rote-Löwen-Fahnen hinein: »Wir kommen im nächsten Jahr wieder«. Doch haben sie die bislang größte Chance auf einen Toursieg leichtfertig verschenkt. Alberto Contador war früh geschlagen. Es gab viele Berg- und wenig Zeitfahrkilometer. Der Rennverlauf warf die besonders für Andy Schleck günstigen Prognosen über den Haufen.

Straßenradsport ist kein Stubensport, selbst wenn in einer solchen Stube nächsten Monat über das Schicksal von Alberto Contador entschieden wird. Der Sportgerichtshof CAS befindet über die juristischen Folgen der positiven Dopingprobe des Spaniers aus dem letzten Sommer. Dank dessen fünftem Gesamtplatz bleibt das Podium der Tour 2011 unberührt von diesem Richterspruch.

Resultate

20. Etappe:

Einzelzeitfahren, Grenoble - Grenoble (42,5 km): 1. Martin (Kreuzlingen) 55:33 min.

21. Etappe:

Cretil - Paris (95 km): 1. Cavendish (Großbritannien) 2:27:02 h.

Endstand:

1. Evans (Australien) 86:12:22 h, 2. A. Schleck + 1:34 min, 3. F. Schleck (beide Luxemburg) + 2:30, 4. Voeckler (Frankreich) + 3:20, 5. Contador (Spanien) + 3:57, 6. Sánchez (Spanien) + 4:55, 7. Cunego (Italien) + 6:05, 8. Ivan Basso (Italien) + 7:23; ...44. Martin (Kreuzlingen) + 1:30:20 h, 60. Gerdemann (Münster) + 1:51:19.

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