Die LINKE im Wahljahr 2011

Debatte beim ND-Pressefest: Bundespartei in Turbulenzen, Landesverbände im Wahlkampf. Eine Zwischenbilanz

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Die LINKE im Wahljahr 2011

ND: Das Wahljahr 2011 ist für die LINKE bisher, sagen wir mal, suboptimal verlaufen. Inzwischen ist des öfteren von der Entzauberung der Linkspartei die Rede. Kerstin Kaiser, sind Sie froh, dass die Brandenburger noch viel Zeit haben bis zur nächsten Wahl?
Kerstin Kaiser: Was heißt viel Zeit? Die LINKE insgesamt steht doch im Wahlkampf. Zugegeben, die Situation der Partei gibt im Augenblick viel Anlass zum Nachdenken. Wir müssen uns fragen, inwieweit sich unsere Arbeit an politischen Konzepten etwa auf Landesebene bezahlt gemacht hat und wo wir als Partei DIE LINKE unseren Gebrauchswert für die Wählerinnen und Wähler bundesweit noch nicht nachhaltig nachgewiesen haben. Wahlkampf ist immer auch eine Zeit der verstärkten Öffentlichkeitsarbeit, aber gewonnen oder verloren werden Wahlen in den Jahren davor. Was wir in einer Legislaturperiode nicht geschafft haben, das wird am Wahltag nicht honoriert.

In Hamburg konnte die LINKE Anfang des Jahres ihr Ergebnis von der letzten Wahl halten. Dora Heyenn, würden Sie angesichts der Auseinandersetzungen in der Partei der These zustimmen, dass Sie fünf Gegner im Wahlkampf hatten – SPD, CDU, Grüne, FDP und die Bundespartei der LINKEN?
Dora Heyenn: Das ist immer wieder von außen an uns herangetragen worden. Aber ich habe zum Beispiel im Wahlkampf an 19 Podiumsdiskussionen teilgenommen, und nirgendwo bin ich mit der berühmten Kommunismus-Frage konfrontiert worden. Sie war für die Wählerinnen und Wähler in Hamburg nicht entscheidend. Entscheidend für unser Ergebnis war, dass wir in Hamburg ziemlich schnell zu einer konstruktiven Oppositionsarbeit gefunden haben.

Helmut Holter, angesichts der schwierigen Bedingungen in diesem Jahr – sind Sie ein bisschen neidisch auf die Genossen, die die Wahlen schon hinter sich haben?
Helmut Holter: Nein. Wir sind sehr gut aufgestellt und gut vorbereitet. Entscheidend für unsere Schwierigkeiten sind, glaube ich, nicht die Debatten innerhalb der Partei, sondern die Veränderungen in der Gesellschaft – vor allem der enorme Zuspruch für die Grünen und ihre Themen. Und wie wir darauf reagieren. Wir wollen den ökologischen Umbau mit dem sozialen Umbau verbinden. Beispiel Energiepreise: Da sagen wir, diese Energiewende ist notwendig, aber sie darf nicht ausschließlich zu Lasten der Bürgerinnen und Bürger und der kleinen und mittelständischen Unternehmen gehen. Wir müssen den Menschen erklären, was sie davon haben, wenn sie links wählen.

In Baden-Württemberg, der Heimat von Ulrich Maurer, ist das offenbar nicht so deutlich geworden. Was ist schiefgelaufen?
Ulrich Maurer: Wir haben dort den bestmöglichen Wahlkampf gemacht, sind aber am Ende ein Opfer der taktischen Wähler geworden. Es ging um Stuttgart 21, es ging um den Atomausstieg, und es ging um die Chance, die Herrschaft der CDU zu brechen. Wären die Umfrageinstitute bis zum Schluss bei unseren Fünf-Prozent-Vorhersagen geblieben, dann hätten die Leute gesagt, die müssen wir reinschicken, dann sind wir den Mappus und die CDU los, und wir hätten es geschafft. Aber in der Woche vor der Wahl wurde verbreitet, für die LINKE reicht es wahrscheinlich nicht. Und daraufhin haben die Leute massenweise gesagt: Dann sind das verlorene Stimmen und wir werden den Mappus nicht los. Wir sind wegen dieses Ergebnisses nicht entmutigt, denn wir haben viel Sympathie gewonnen.

Heyenn: Ich habe die Diskussion nach den Wahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz nicht verstanden. Da hieß es, das seien schlechte Wahlergebnisse für die LINKE gewesen. Baden-Württemberg ist ein großes, konservativ strukturiertes Flächenland, und da finde ich unser Ergebnis respektabel. Einige haben sogar behauptet, wir seien aus den Landesparlamenten rausgeflogen. Fakt ist jedoch, wir waren gar nicht drin. Selbst die Grünen, die seit über 30 Jahren existieren, waren bis dato nicht im Landestag in Rheinland-Pfalz. Die LINKE dort aufzubauen ist ein langfristiges Projekt.

Kaiser: Ist es okay, sich als Opfer von Demoskopie oder Modethemen zu sehen? Es gibt einen Zusammenhang zwischen dem Bild der Bundespartei und den Wahlergebnissen in den Ländern. Und der hat mit der Frage zu tun, was wir in den letzten drei Jahren als junge Partei erreicht haben. Haben wir es geschafft, Konzepte zu erarbeiten, wie wir den grünen Umbau der Gesellschaft sozial gerecht gestalten wollen? Ich denke, noch nicht. Unsere Konzepte sind für die Menschen bislang nicht erkennbar. Und dann ist da noch unsere Streitkultur, die oft genug die Leute nicht einbezieht, sondern befremdet. Da müssen wir noch einiges lernen.

Maurer: Was die Bundespartei betrifft: Es ist wie in einem Flugzeug, das in Turbulenzen gerät und von 12 000 Meter Höhe absackt auf 3000 Meter. Jetzt müssen wir zusehen, dass wir in einen Gleitflug und dann in den Steigflug übergehen. Man muss schon ehrlich sagen: Ein Teil dessen, was an unseren erhofften Wahlergebnissen gefehlt hat, geht auf das Konto der Performance der Bundespartei. Wir müssen uns immer noch durch Anfangsschwierigkeiten durcharbeiten. Wenn wir beharrlich bei unseren Kernthemen bleiben – Frieden und Soziales –, und da neue Antworten geben, dann führt das zum Erfolg.

Die Brandenburger LINKE stand zu Beginn ihrer Regierungszeit heftig in der Kritik. Als kleinerer Koalitionspartner muss man etliche Kompromisse machen. Wie oft wurden Sie schon von Ministerpräsident Platzeck über den Tisch gezogen?
Kaiser: Das ist mit mir nicht zu machen. Wir sitzen im Kabinett an einem Tisch, und wir sind da oft genug unterschiedlicher Meinung. Beispiel Bildungspolitik: Da drängen wir stärker in Richtung Gemeinschaftsschule, in Richtung soziale Gerechtigkeit. Beispiel Energiepolitik: Wir streiten mit der SPD zur Frage CO2-Verpressung, die LINKE lehnt diese Technologie ab. Aber für die Zeit des Koalitionsvertrages haben wir einen Kompromiss formuliert, der ökologische, kommunalpolitische und rechtliche Standards sichert. Wir haben in allen inhaltlichen Feldern der Landespolitik linke Akzente gesetzt.

Maurer: Regieren ist dann gut, wenn wir dabei unser Profil zeigen. Die Menschen müssen am Ende wissen, was durch uns verändert wurde, wofür wir stehen und wer uns daran gehindert hat, etwas zu verändern. Wenn wir nur als fleißiges Lieschen eines Ministerpräsidenten dastehen, werden wir nicht gewählt.

Auch in Mecklenburg-Vorpommern will die LINKE ab Herbst mitregieren. Sie hatte das ja schon einmal acht Jahre lang, konnte aber ihr Wahlergebnis von 1998 nicht mehr annähernd erreichen. Hat sich die Nordost-LINKE vom Regieren immer noch nicht erholt?
Holter: Viele Menschen erinnern sich gern an die Zeit von Rot-Rot in Mecklenburg-Vorpommern. Zum einen, weil wir Inhalte linker Politik umgesetzt haben. Zum anderen wegen der Art und Weise, wie Politik gemacht wurde. Jetzt machen SPD und CDU in Schwerin Politik über die Köpfe der Menschen hinweg. Wir haben damals auf Dialog und Vertrauensbildung gesetzt – in die Gesellschaft insgesamt, aber auch in die Partei. Daran wollen wir anknüpfen; dass wir wieder regieren wollen, steht im Wahlprogramm. Unser Problem ist: Die politische Auseinandersetzung ist derzeit sehr stark polarisiert zwischen Schwarz-Gelb und Rot-Grün. Da müssen unsere Angebote an die Wählerinnen und Wähler umso überzeugender sein.

Wer mitregiert, ist in der LINKEN eine Art Buhmann. Haben Sie Lust dazu?
Holter: Ich wünsche mir, dass die LINKE stolz ist auf das, was ihre Politiker leisten, dass wir darüber offensiv sprechen. Dass es Kritikwürdiges gibt, dass wir oft genug an Grenzen stoßen, gehört selbstverständlich auch dazu. Wer sich in die Küche begibt, der darf keine Angst davor haben, dass es heiß werden kann. Wir können doch nicht darauf warten, dass die LINKE die absolute Mehrheit in einem Landtag oder gar im Bundestag bekommt. Jetzt etwas zur Verbesserung der Lebensqualität der Menschen zu tun – dazu sind wir aufgefordert. Das nehmen wir ernst und dazu haben wir konkrete Projekte.

In Hamburg gibt es eine klare rot-grüne Mehrheit ohne die LINKE. Ist Ihnen, Dora Heyenn, die Opposition lieber als etwa die Aufgabe der Genossen in Nordrhein-Westfalen, Rot-Grün zu tolerieren?
Heyenn: Einen Architekten der Agenda 2010 wie Olaf Scholz zum Bürgermeister zu machen, wäre für uns nicht in die Tüte gekommen. Deshalb haben wir uns in Hamburg frühzeitig zur Oppositionsrolle bekannt, und ich glaube, das haben die Wähler honoriert. Das Tolerieren halte ich für äußerst problematisch. Grundsätzlich haben wir in Hamburg nichts gegen Rot-Rot oder Rot-Grün-Rot. Es kommt immer darauf an, wie die Politik aussieht. Ich könnte zum Beispiel in Sachen Energiewende mit den Hamburger Grünen nicht an einem Strick ziehen – wir sind die einzige Partei, die sagt, eine Energiewende kann es mit den großen Stromkonzernen nicht geben. Wenn die Energiepolitik der anderen Parteien so weiterläuft wie derzeit, dann sind wir in zehn Jahren nicht mehr wegen Kohle- und Atomstrom von den Konzernen abhängig, sondern wegen Ökostrom. Das wollen wir nicht; wir wollen regionale Energieerzeuger, die sozial verträgliche Preise anbieten.

Die Hamburger PDS war einmal als Hort des Unfriedens in der Partei gefürchtet; die Hamburger LINKE macht ganz unspektakulär Politik. Diszipliniert die Arbeit im Parlament?
Heyenn: Ja, diese Wirkung gibt es. Wobei wir als Partei nach wie vor sehr bunt sind und alle Richtungen und Strömungen respektieren. Die Akteure aus der PDS-Zeit, von denen Sie eben gesprochen haben, sind z.B. in die Hochschulpolitik der Bürgerschaftsfraktion eingebunden. Da haben sie Erfahrung, übernehmen Verantwortung, und das kommt der LINKEN zugute.

Helmut Holter, die Umfragen sprechen dagegen, aber Sie wollen Ministerpräsident werden. Wie verrückt muss man sein, mit diesem Ziel den Wahlkampf zu bestreiten, wenn man weiß, dass es nichts wird?
Holter: Ich bitte darum, den Kampf um Inhalte nicht mit dem Streben nach dem Amt zu verwechseln. Wir wollen an das anknüpfen, was wir 1998 bis 2006 in der Regierung begonnen haben: eine sozial-ökologische Wende in Mecklenburg-Vorpommern. Und wenn am Wahlabend, am 4. September um 18 Uhr, die LINKE so stark ist, dass sie im Zusammengehen mit der SPD den Ministerpräsidenten stellen kann, dann werden wir darauf bestehen.

Ulrich Maurer, Sie sind nicht nur Bundestagsabgeordneter; im Nebenberuf sollen Sie als Parteibildungsbeauftragter die Kulturen der Ost- und der Westpartei zusammenführen. Wie viele Ferienlageraufenthalte gab es denn schon, nachdem Gregor Gysi letztes Jahr dazu aufgerufen hatte, einander besser kennenzulernen?
Maurer: Da ist die Basis weiter als das mittlere Parteimanagement. Wir haben eine explosionsartige Entwicklung von Partnerschaften zwischen Kreisverbänden, zwischen Städten. Wir hatten bei den Wahlkämpfen im Westen große Unterstützung aus dem Osten. Solche Erlebnisse schweißen zusammen. Ich hätte gern noch mehr Geld, um so etwas zu fördern.

Kerstin Kaiser, was muss bei den restlichen Wahlen des Jahres passieren, damit die LINKE es als erfolgreich abbuchen kann?
Kaiser: Wir müssen mit linken Politikangeboten in den Wahlkämpfen stehen. Mit Leuten gemeinsam Lösungen finden, für ihre Probleme und Vorschläge offen sein. Und wir sollten nichts als gescheitert betrachten, bevor wir überhaupt angefangen haben zu kämpfen. In Brandenburg musste die SPD erkennen, dass sie zwar mit der CDU gemütlich weiter regieren, aber nicht die angehäuften Probleme lösen kann. Diese Erkenntnis führte in der SPD und in der Gesellschaft zu einer Mehrheit für Rot-Rot. Woanders, unter anderen Bedingungen mag die Entscheidung anders ausfallen, und die LINKE zieht die Opposition vor. Jeder Landesverband muss nach seinen Bedingungen politisch entscheiden. Aber ich wünsche mir, dass die Regierungsbeteiligung in einem Land als Projekt, als Werkstatt für die ganze Partei begriffen würde.

Wenn wir nur als fleißiges Lieschen eines Ministerpräsidenten dastehen, werden wir nicht gewählt. (Ulrich Maurer)
Wenn wir nur als fleißiges Lieschen eines Ministerpräsidenten dastehen, werden wir nicht gewählt. (Ulrich Maurer)
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