Ungereimtheiten um den Todesflug AF 447

Ermittler der französischen Untersuchungsbehörde stehen im Kreuzfeuer der Kritik

  • Lesedauer: 3 Min.
Von Ralf E. Krüger, dpa

Die Aufklärung des Airbus-Absturzes vor zwei Jahren über dem Atlantik kam lange Zeit nur schleppend voran. Nun führen Ungereimtheiten bei der Arbeit der Ermittler zur öffentlichen Vertrauenskrise.

Der Absturz eines Air-France-Airbus auf dem Flug von Rio nach Paris mit 228 Menschen an Bord gehört zu den rätselhaftesten Luftfahrtunglücken der vergangenen Jahrzehnte. Er könnte eine Bedeutung bekommen, die weit über den Einzelfall hinausweist – nicht nur wegen der technischen Seite des Dramas vom 1. Juni 2009. Denn die Ermittler der französischen Flugunfall-Untersuchungsbehörde BEA stehen im Kreuzfeuer der Kritik wie selten zuvor eine Behörde bei einem derartigen Unglück. Zunächst hatte ihre Entscheidung zur Suche in einem Gebiet weitab der Flugroute die Kritik heraufbeschworen – das Wrack und seine Flugdatenschreiber wurden erst knapp zwei Jahre später gefunden und teilweise geborgen. Nun sind es Ungereimtheiten im jüngsten BEA-Bericht, die zur offenen Vertrauenskrise zwischen der Behörde und Piloten sowie Angehörigen der Opfer von Flug AF 447 führten.

War es nur Ungeschicklichkeit oder Absicht in einer Gemengelage aus hohem Erwartungsdruck und handfesten wirtschaftlichen Interessen, wie es die Angehörigen vermuten? Tatsache ist, dass die Behörde offenbar bewusst eine wichtige Passage mit einer Sicherheitsempfehlung aus ihrem Zwischenbericht gestrichen hat, den sie letzten Freitag einer erwartungsvollen Öffentlichkeit präsentierte. Das Ganze wurde bekannt, weil nur vier Tage zuvor den Luftfahrtexperten der Wirtschaftsblätter »La Tribune« und »Les Echos« ein vertraulicher Entwurf des Berichts zugespielt worden war.

Im Entwurf war ein Kapitel dem verwirrenden Verhalten der Überzieh-Warnung (»stall warning«) gewidmet. Sie gibt akustisch Alarm, wenn das Flugzeug zu langsam zum Fliegen wird und der Absturz droht. »Stall! Stall! Stall!« ertönt dann eine durchdringende Stimme im Cockpit. Piloten wird schon bei der Grundausbildung beigebracht, die Bedeutung des Alarms überaus ernstzunehmen. Doch die Crew von AF 447 reagierte nicht auf die 54-sekundige Warnung zu Beginn des vierminütigen Sinkfluges in den Tod.

BEA-Chef Jean-Paul Troadec gab letzte Woche bei Vorlage des Interimsberichts seiner Behörde zu, dass das verwirrende An- und Ausschalten der Überzieh-Warnung die Piloten in der Tat irritiert haben könnte. Denn anders als zu erwarten schwieg die Warnung, sobald eine bestimmte Geschwindigkeit unterschritten wurde – also, als das Flugzeug nicht mehr flog, sondern nur noch durchsackte. Im Entwurf der BEA hatte es, so die Wirtschaftsblätter, geheißen: »Die BEA empfiehlt, dass die (europäische Luftfahrtbehörde) EASA sicherstellt, dass das Funktionieren der Überzieh-Warnung im Fluge nicht durch beeinträchtigte Geschwindigkeitsanzeigen infragegestellt wird.« Möglicherweise ist das Phänomen verbreiteter als angenommen. »Le Parisien« berichtete unter Hinweis auf den Sicherheitspiloten einer ungenannten Airline, dass einige Airbus-Piloten in der Praxis kaum noch die Überzieh-Warnung beachteten. Grund: Eine Anzeige auf dem Cockpit-Bildschirm weise auf das Risiko einer überreagierenden Warnung hin. »Das ist so, als ob man ›Achtung!‹ sagt und zugleich erklärt: »Achten Sie nicht auf die Person, die Achtung sagt!«, so der Pilot.

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