Wenn die Harley knattert
Die Heavy-Metal-Urgesteine von Judas Priest rockten am Dienstag Berlin
Die Berliner O2-World ist eine seelenlose Mehrzweckhalle. Hier gehen die Basketballer von Alba auf Körbejagd und die Eisbären schlittern dem Puck hinterher. Und zwischendurch geben sich die Stars der internationalen Musikszene ein Stelldichein. Am Dienstagabend war eine musikalische Legende zu Gast in der leblosen Halle am S-Bahnhof Warschauer Straße: Judas Priest. Die Band um den charismatischen Sänger Rob Halford ist eine der bekanntesten Heavy-Metal-Bands überhaupt. Neben Iron Maiden und Saxon galten sie Anfang der 1980er Jahre als die treibende Kraft der »New Wave of British Heavy Metal« – jener Renaissance gitarrenlastiger Rockmusik, die die 80er Jahre mit prägen sollte. Priest sind seitdem der Inbegriff des Heavy-Metal englischer Prägung.
Die aktuelle »Epitaph World Tour« soll die letzte große Tournee der charismatischen Engländer sein. Sie ist zudem eine Art Abschiedsgeschenk an die treuen Fans. Dabei stand die Tour unter keinem guten Stern. Kurz vor Beginn erklärte Gitarrist K.K. Downing seinen Ausstieg. Ein echter Paukenschlag, gilt doch der Gitarrenhexer neben Sänger Halford als zweiter Kopf der Band. Angeblich sind Differenzen zwischen Downing und dem Rest der Band der Grund für den Abschied. Auf der Epitaph-Tour ersetzte der junge und ebenso begabte Richie Faulkner den Gitarristen. Faulkner fügte sich in Berlin gut in die Truppe ein.
Die 3000 meist älteren Fans dürften ihren Gitarrengott K.K. Downing an diesem Abend nicht vermisst haben. Und auch der Rest der Band enttäuschte das vornehmlich langhaarige Publikum nicht: Bereits mit dem ersten Song »Rapid Fire« heizten Halford und Band der Menge ordentlich ein. Die Nummer von ihrem wohl erfolgreichsten Album »British Steel« wurde von einem gigantischen Bühnenbild umrahmt: Ein Stahlwerk mit rauchenden, Feuer speienden Schloten – davor ein Schild: »Home of British Steel«. Eine Anspielung auf Birmingham, jene englische Stahlmetropole aus der die Band ursprünglich stammt. Eine alte Malocherstadt, die in den 70er Jahren die richtige Atmosphäre bot für junge, laute Bands wie Judas Priest. Die Band verkörperte die ungebändigte Lebenswut der britischen Working Class. Bassisten-Urgestein Ian Hill, der während der gesamten Show stets mit beiden Beinen auf dem Bühnenboden stand, wirkte an diesem Abend wie ein Malocher, der schwere Arbeit verrichtet: Heavy Metal.
Als die Band in den 70er Jahren ihre ersten Alben veröffentlichte, da arbeiteten noch Zehntausende bei British Steel. Die Band benannte folgerichtig eine ihrer Platten nach dem Stahlkonzern. Doch dann kamen die 80er und mit ihnen Premierministerin Margaret Thatcher und ihre neoliberale Deindustrialisierungspolitik, die den traditionell starken britischen Gewerkschaften ihre Basis nahm. Heute gibt es kaum noch Stahlkocher in Birmingham. Heute gibt es nur noch Judas Priest.
Und wie um das Vermächtnis Birminghams aufrecht zu erhalten, rockte der fast 60-jährige Halford wie ein Stahlkocher vorm Ofen: Kraftvoll, doch nie überhastet. Zwischen jedem Song wechselte der Sänger sein Outfit. Mal rockte er in einem Nieten besetzen Ledermantel, dann kam er als Nostradamus in einem silbernen Umhang auf die Bühne, um dem gleichnamigen Song die richtige Atmosphäre zu geben. Gegen Ende der Show ließ der Sänger den Motor seiner Harley-Davidson aufheulen und knatterte mit ihr auf die Bühne. Der richtige Einstieg für das darauf folgende »Hell bent for leather« – eine Hymne auf Lederkluft und schnelle Motorräder.
Nach mehr als zwei Stunden und einigen Zugaben – darunter der Mega-Hit »Living after Midnight« –, bei denen das Publikum wild die Haare schüttelte und aus voller Kehle mitgrölte, war Schluss. Eine großartige Band verließ die Bühne – und mit ihr ein Stück Musikgeschichte. Wahrscheinlich werden Priest in Zukunft nur noch selten auftreten. Ein neues Album soll schon im Kasten sein und im Sommer nächsten Jahres erscheinen. »Für uns ist es wichtig, noch ein großartiges Metal-Album im britischen Stil aufzunehmen«, sagte Halford kürzlich. Darauf darf man sich schon jetzt freuen.
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