- Kommentare
- Bundeswehr
Wehrpflicht? Abrüstung!
Christian Klemm über eine Umfrage zur Wiedereinführung der Wehrpflicht
Ob an der Straßenbahn, auf Plakaten in der Stadt oder beim Scrollen durch Social Media – gefühlt wurde noch nie so viel Werbung für die Bundeswehr gemacht wie heute. Und wie das bei Reklame so üblich ist, werden vor allem die Schokoladenseiten des Produktes gezeigt. In diesem Fall: Die Truppe ist ein Arbeitgeber, der sich um das Wohl und die Sicherheit der Bevölkerung bemüht. Dass einem Soldaten im Einsatz die Kugeln um die Ohren fliegen, er verwundete »Kameraden« mit offenen Bauchwunden aus dem Schützengraben bergen muss und während der Ausbildung schikaniert werden kann, verschweigt die Werbung.
Dazu kommt eine politische Dauerbeschallung, die nur schwer auszuhalten ist. Russland, der böse Agressor hier, Putin, der Schlächter von der Moskwa dort. Überhaupt gilt Russland im westlichen Sprachgebrauch als das neue Imperium, das nicht nur die Ukraine unterjochen will, sondern auch drauf und dran sei, die baltische Staaten zu überfallen. Und wenn, ja wenn wir Deutschen nicht aufpassen, dann kommt Putin bald mit seinen T72-Kampfpanzern über die Oder und nimmt Kurs auf Berlin.
Zum Thema: »Kein Werben fürs Töten und Sterben« – An mehreren Bundeswehrstandorten gab es antimilitaristische Proteste gegen den Tag der Bundeswehr
Bei solch einem bellizistischen Trommelwirbel ist es kein Wunder, dass eine Mehrheit der Deutschen die Wiedereinführung der Wehrpflicht für Frauen und Männer befürwortet. Das tun laut einer neuen Umfrage von Infratest-dimap rund 55 Prozent der Deutschen. Und mehr Soldaten für die Truppe seien bitter nötig, sofern man der Bedrohung aus dem Osten Glauben schenkt. Zurzeit hat die Bundeswehr rund 181 000 Männer und Frauen an den Waffen; 50 000 bis 60 000 weitere sollen sich in den kommenden Jahren der Armee anschließen. Eine Wehrpflicht – in welcher Form auch immer – wäre da sicher hilfreich.
Denn die verschiedenen Bundesregierungen haben die Bundeswehr seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion systematisch umgebaut: von einer Verteidigungs- zu einer Interventionsarmee. Schließlich ging man bei der Aussetzung der Wehrpflicht 2011 davon aus, dass der russische Bär noch ein Weilchen Winterschlaf halten werde, in den er sich 1992 verabschiedet hatte. Doch Pustekuchen! Putin holte erst 2014 die Krim mit Gewalt zurück ins östliche Riesenreich und überfiel dann 2022 den gesamten westlichen Nachbarn. Eine humanitäre Katastrophe, in der bisher Tausende zivile Opfer zu beklagen sind. Seitdem kann man den russischen Präsidenten einen Kriegstreiber nennen.
Doch die Aufrüstung der Nato-Armeen verringert nicht das Risiko eines Krieges mit Russland. Im Gegenteil. Eine Eskalation zwischen den beiden Militärblöcken muss unbedingt verhindert werden. Das geht am besten mit Abrüstung – und zwar auf beiden Seiten. Wenn weder Russland noch die Nato in der Lage sind, Krieg zu führen, weil ihnen die nötigen Raketen und Panzer fehlen, dann ist viel gewonnen. Viel mehr als mit einer Wehrpflicht in den einzelnen Nato-Staaten.
Wir sind käuflich. Aber nur für unsere Leser*innen.
Die »nd.Genossenschaft« gehört ihren Leser:innen und Autor:innen. Sie sind es, die durch ihren Beitrag unseren Journalismus für alle zugänglich machen: Hinter uns steht kein Medienkonzern, kein großer Anzeigenkunde und auch kein Milliardär.
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ unabhängig und kritisch berichten
→ übersehene Themen aufgreifen
→ marginalisierten Stimmen Raum geben
→ Falschinformationen etwas entgegensetzen
→ linke Debatten voranbringen
Mit »Freiwillig zahlen« machen Sie mit. Sie tragen dazu bei, dass diese Zeitung eine Zukunft hat. Damit nd.bleibt.