Eine Frage des Alter(n)s

Salzburger Festspiele: »Die Sache Makropulos« von Leoš Janácek und »Macbeth«

  • Roberto Becker
  • Lesedauer: 4 Min.
Angela Denoke als Emilia Marty (re.)
Angela Denoke als Emilia Marty (re.)

Neben der hehren Kunst ist bei den Salzburger Festspielen auch der Traum von der ewigen Jugend immer ein Thema. Die Beispiele für gelungene, mehr noch, für die weniger gelungenen Eingriffe in die Biografie von Gesichtern, gehören hier vor jeder großen Premiere zum kostenlosen Beiprogramm. Mit Janáceks »Die Sache Makropulos« steht in diesem Jahr auch die Oper zu diesem Thema auf dem Spielplan. Für die Tochter des Hofalchimisten von Kaiser Rudolf II. freilich wurde ihre ewige Jugend am Ende eher zu einem Alptraum. Mit 16 wurde sie als Versuchskaninchen für das Jugend-Elixier missbraucht, das sich der Kaiser brauen ließ, aber dann doch nicht einzunehmen getraute. Immerhin war der Alchimist so gut, dass in den über 300 Jahren, die danach vergangen sind, die Tochter höchstens bis Mitte 30 gealtert ist.

Dem modernen Jugendwahn-Aspekt in Karel Capeks Komödie und Janáceks Oper gingen die Festspiele beim Pressegespräch fast auf den Leim, denn sie hatten dort allen Ernstes einen Schönheitschirurgen und einen Genspezialisten aufs Podium neben Christoph Marthaler und sein Team gebeten. Der Schweizer Theatermann und seine kongeniale Ausstatterin Anna Viebrock sind allerdings listig genug, um sich nicht auf diesem Nebenkriegsschauplatz zu verhaken. Sie sind eh eher die Spezialisten für die Physiognomie der normalen, ganz alltäglichen Menschen. In der Oper geht es ohnehin nicht um die sichtbaren oder unsichtbaren Narben, die die Schönheitschirurgen in den Gesichtern hinterlassen, sondern um die seelischen und anderen Verletzungen, die eine Frau davon getragen hat, die die Männer über die Jahrhunderte hinweg besser kennenlernte, als jede andere Geschlechtsgenossin. Zwei von ihnen hat sie wohl geliebt. Der eine ist lange tot. Der andere ist inzwischen ein närrischer Greis, dem niemand glaubt, dass er in der Prima Donna Emilia Marty seine Geliebte von vor fünfzig Jahren wiedererkennt. Er glaubt es wohl selbst nicht.

Die Bühne im Großen Festspielhaus ist ein holzgetäfelter Gerichtssaal mit diversen Viebrock-Nebenräumen. Einem Fenstern mit Blumen und Wartebänken davor, einem Gang mit Pendeltür am Ende und einem gläsernen Raucherraum vorne links. Das juristische Personal, das sich in einem über Generationen währenden Rechtsstreit ineinander verhakt hat, und von dem Emilia eigentlich nur die Jugendrezeptur haben will, erhält natürlich skurrile Verstärkung aus dem Marthaler Universum. Die alte Lady mit Gehilfe, die sich schon im dazu erfundenen, nicht zu hörenden, aber mitzulesenden Vorspiel-Dialog, mit einer jüngeren Raucherkollegin über den Traum von der ewigen Jugend fetzt, dann immer wieder abhauen will, und schließlich von dem Pfleger, der das verhindert hat, immer wieder Blumen bekommt. Oder die Juristen und die Gäste im Gericht, die ebenso plötzlich auftauchen, wie sie dann wieder verschwinden.

So rahmt Marthaler mit seinen spezifischen Mitteln die Geschichte ein, um sie klar zu erzählen und sie dabei auf die grandiose Angela Denoke zu fokussieren. Wie die mit ihrer unbeirrten, ruhigen Strahlkraft gleichwohl eine Ahnung von Kälte und Einsamkeit mitschwingen lässt, wenn sie bei der Jagd nach dem Rezept, jener Sache Makropulos, nach und nach die Lust daran verliert, es tatsächlich noch einmal zu nehmen, das ist faszinierend! Vom ersten souveränen Auftritt im schicken Zwanzigerjahre-Kleid bis zu ihrem weise melancholischen, eher beiläufigen Abgang – diese Emilia Marty, ist ein Triumph für Angela Denoke! Aber auch für Esa-Pekka Salonen, das restliche Ensemble und die Wiener Philharmoniker. Vielleicht hatten die ja von Marthalers ursprünglicher Idee gehört, das ominöse Geheimrezept am Ende nicht von der jungen Sängerin Kristina verbrennen, sondern es in den Orchestergraben werfen zu lassen. Vielleicht hauten sie ja schon vor dem Ende des Schlussbeifalls beleidigt ab, weil sie es nicht bekamen? Aber es ist wohl nur eine ziemlich arrogant wirkende Unart dieses Nobelorchesters.

Dabei hätten sie diese imaginäre Verjüngungsdroge bei ihrem »Macbeth« in der Felsenreitschule gut gebrauchen können. Da frönen sie nämlich unter Riccardo Muti einem Hochglanzschönklang, der vom Shakespearschen Thriller und Verdis Wurf kaum etwas übrig lässt. Nun könnte man sagen: warum nicht auch mal so. Aber die deutsche Theaterlegende Peter Stein verfertigte dazu ein dermaßen künstlich gealtertes, szenisches Arrangement, wie man es wirklich im letzten Winkel der deutschen Theaterprovinz nicht mehr zu sehen bekommt. In einer uninspiriert historischen Kostümierung wird da auf- und (z.T. rückwärts) wieder abmarschiert, die große Operngeste gepflegt und im Hexenkessel rumgerührt. Ein Sammelsurium verlegener Peinlichkeiten. Und auch, dass die irre werdende Lady mit ihrer Kerze die Arkadengänge der Felsenreitschule entlang irrt, ist da keine kongeniale Ausnutzung dieser besonderen Spielstätte, sondern schlichtweg das am nächsten liegende.

Dennoch kann sich die Opernbilanz dieser Festspiele hören und sehen lassen. Denn neben der einhellig bejubelten »Sache Makropulos« gab es ja Thielemanns grandiose »Frau ohne Schatten« und als Wiederaufnahmen die drei DaPonte Opern von Mozart, die Claus Guth mit neuen Besetzungen und unterschiedlichen Orchestern wieder aufpoliert hat.

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