Toter Winkel ausgeleuchtet

Sicherheitstechnik könnte tödliche Unfälle vermeiden. Könnte!

  • Lesedauer: 5 Min.
Außenairbag, automatische Notbremse, Warnsysteme: Neue PKW- und LKW-Technik könnte Radfahrerleben retten. Doch die Fahrzeughersteller wehren sich gegen gesetzliche Verpflichtungen.
ADAC-Broschüre: Muss sich wirklich nur der Radfahrer ändern?
ADAC-Broschüre: Muss sich wirklich nur der Radfahrer ändern?

Der Herr in der blauen Uniform – auch in Köln wird das altbewährte Grün langsam durch Blau verdrängt – winkte mich freundlich, aber keinen Widerspruch duldend zur Seite. Ich möge bittesehr keine Angst haben, ein Knöllchen wolle er mir nicht verpassen. Ja, er warf nicht einmal einen Blick auf mein Fahrrad, um festzustellen, ob es denn auch verkehrssicher sei (es war und ist, liebe linke Mitspießer!). Gut zwei Minuten sprachen wir miteinander. Dann kam der Polizist (»Mein Name ist Hofmann«) endlich auf den Punkt: Zu viele Fahrradfahrer stürben auf Kölns Straßen. Das sei auch für die Polizei unangenehm. Oft hingen die tödlichen Unfälle mit der Nichtbeachtung des »sogenannten toten Winkels« zusammen.

Weswegen er mich bitte, so sprach er, während er mir eine kleine gelbe Broschüre überreichte, »das mal zu lesen«. ADAC, so war darauf in großen Lettern zu lesen. Hey, die Auto-Lobby erteilt uns Radlern Ratschläge, wie wir die Aktionen der ADAC-Klientel überleben können – jedenfalls meistens? Freundlich bedankte ich mich für das unerwartete Geschenk, ausgehändigt vom Staat.

Zu Hause las ich wie versprochen. »Vorsicht bei parkenden Autos«, stand da. Denn oft werde die Autotüre just in jenem Moment geöffnet, »in dem sich der Radfahrer unmittelbar auf Höhe des Autos im Toten Winkel bewege.« Der Tipp des Autler-Vereins: »Genügend Abstand zu parkenden Autos halten.« Nun weiß jeder Radfahrer, dass ein hinreichender Abstand zu parkenden Autos zwangsläufig bedeutet, mit fahrenden Autos in Konflikt zu geraten, gerade dann, wenn die Parkenden mal wieder halb oder ganz die Radspur belegen. Doch solche Verkehrsteilnehmer spricht die Kölner Polizei eher selten an.

Natürlich achtet der nicht völlig lebensmüde Pedaletreter stets darauf, ob sich Autotüren spontan öffnen. Er hat aber auch schon oft genug erlebt, dass Autofahrer beim Aussteigen Vor- und Rücksicht walten lassen – und so ihrerseits Unfälle vermeiden. Kurzum: Der erfahrene Radfahrer sieht das Problem eher beim motorisierten Verkehrspartner, insbesondere bei jener kleinen, besonders idiotischen Minderheit, die die Tür aufreißen ohne nachzudenken und ohne Rücksicht auf anderer Leuts Verluste. Manchmal bitten sie danach wortreich um Entschuldigung. Oft langt ihre Reflexionsfähigkeit allerdings nicht einmal zur Einsicht, dass diese kleine Geste der Höflichkeit angemessen wäre.

Was tun? Neulich sah ich ein Filmchen auf einer der üblichen Video-Plattformen. Da zeigte ein Radler aus den USA, welche Lösung er für das Problem gefunden hat: Er drückt die Autotür schlicht in vollem Fahrttempo zu – und radelt dann weiter. Gewiss, die Verletzungen, die sich der unumsichtige Autofahrer dabei einfängt, sind in der Regel harmloser als jene, die ein Radfahrer erleidet, der flugs von 25 auf Null Stundenkilometer gebremst wird und über Radlenker und Autotür auf die Straße fliegt. Doch bleiben wir ehrlich: Angequetschte Autofahrer-Gliedmaßen sind keine wirkliche Lösung.

Das findet auch Roland Huhn, Leiter »Verkehr, Tourismus, Technik« beim Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club (ADFC) – einer Art ADAC für Freunde des Radelns. Sein Verein plädiert für bessere Sicherheitstechniken, um das Problem »Toter Winkel« abzumildern. So auch für ein Warnsystem bei sich öffnenden Autotüren, für einen Abbiege- und Bremsassistenten für Lkw und für einen Außenairbag für PKW, der Radfahrer sanft abbremst, wenn es hart auf hart kommt. Doch, so Huhn: »Die Fahrzeug-Hersteller wehren sich gegen Vorschriften, die Veränderungen an der Fahrzeugstruktur erfordern.«

Auch mangele es an gesetzlichen Regelungen: So habe die Firma MAN die Entwicklung eines beinahe anwendungsreifen Abbiegeassistenten für LKW in der Wirtschaftskrise eingestellt, weil es keine gesetzliche Vorschrift gebe und die Käufer von Lkw nicht danach fragen würden. »So haben wir das zumindest gehört«, sagt Huhn.

Dabei sei die Erkennung von Verkehrsteilnehmern im »Toten Winkel« weit fortgeschritten. Es gelte nur noch, Detailprobleme zu klären. Und spätestens ab 2015 müssten LKW eh über eine automatische Notbremse verfügen. Will meinen: Der Bordrechner könnte Radler im »Toten Winkel« via Sensoren erkennen. Und dann den LKW automatisch abbremsen. Und so Leben retten.

Noch nicht ganz so weit fortgeschritten sei der Außenairbag, der sich bei einem Aufprall öffnet und so den Aufprallenden schützt. Man ist noch in der Erprobungsphase. Das Problem: Die Sensoren lösen noch zu oft Fehlalarme aus. Denn die Aufprallenergie, die den Airbag auslöst, ist relativ gering. Kurz: Es besteht viel »Interpretationsspielraum« für die Technik.

Eine simple Form der Türwarnöffnung wäre laut Huhn leicht zu verwirklichen – ein Lichtsignal am Heck, das Radfahrern signalisiert: Vorsicht, depperter Autofahrer! Doch ein Warnsystem für den Tür öffnenden Menschen selbst ist noch Zukunftsmusik: »Die Sensoren sind noch überfordert mit der schmalen Silhouette von Radfahrern«.

Die Kosten für solche Systeme seien überschaubar, sagt Huhn unter Berufung auf Herstellerangaben. Die Zulieferer würden sich zudem teils gute Geschäfte erhoffen, wenn man künftig neben dem schicken Autoradio auch Sicherheitssysteme mitbestellen könnte.

»Aber«, so fragt der Verkehrsexperte, »werden die Autokunden die Sicherheitssysteme aus der Zubehörliste bestellen – oder sich doch für die Alufelgen entscheiden?« Und es gebe da noch ein Problem bei freiwilligen Lösungen: Autofahrer müssten für Technik bezahlen, von denen nicht sie selbst oder ihre Familie profitieren (wie beim Innenairbag), sondern andere. »Wie viel würde ich investieren, um meinen Nachbarn zu retten«, fragt Huhn, »oder jemanden, den ich gar nicht kenne?«

Auf Altruismus zu setzen hilft also nicht wirklich weiter – während klare gesetzliche Vorgaben einen Markt für sinnvolle Technik schaffen würden. Die ADAC-Broschüre, die mir Polizist Hofmann schenkte, sieht das ein wenig anders. Sie stellt derweil lapidar klar: Der »Tote Winkel« sei zwar »häufige Ursache von schweren Unfällen«, indes »nicht vollständig zu vermeiden«. Und sie rät Radfahrern, notfalls lieber auf die Vorfahrt zu verzichten. Was nichts anderes bedeutet als: Freie Fahrt (und keine zusätzlichen Kosten!) für die ADAC-Klientel.

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