Der Araber Gaddafi war lieber Afrikaner

Mit dem Machtwechsel in Libyen endet auch ein Kapitel für die AU

  • Roland Etzel
  • Lesedauer: 4 Min.

Der 1. September 2011 wird in diesem Jahr in Libyen gewiss kein Staatsfeiertag mehr sein. Es ist der Jahrestag der Revolution, mit der 1969 eine Gruppe junger Offiziere den Herrscher des Königreichs Libyen im Handstreich absetzte und die Republik ausrief. An ihrer Spitze stand ein 27-jähriger Leutnant namens Muammar al-Gaddafi, genau jener, dessen Herrschaft nach fast genau 42 Jahren zu Ende geht. Gaddafi ist damit nicht nur der mit Abstand dienstälteste Herrscher Afrikas, sondern auch einer derjenigen, die Afrikas Selbstverständnis am stärksten prägten.

Wenngleich von Gaddafi in erster Linie seine exzentrischen, ja geradezu schrill anmutenden Auftritte im Gedächtnis bleiben werden, seine politische Unberechenbarkeit gegenüber Freunden und Feinden gleichermaßen, sein in jeder Hinsicht konventionsfeindliches Verhalten, so widerspräche es doch der geschichtlichen Wahrheit, ihn darauf zu reduzieren.

Gerade Afrika war von Gaddafi, nachdem all seinen hochfliegenden panarabischen Ambitionen an eigenen Fehleinschätzungen und Trugbildern, vor allem aber an der nüchternen Realität zerschellt waren, zu seinem Tätigkeitsfeld auserkoren worden. Neben manch Politklamauk, der häufig die Grenze zur Lächerlichkeit streifte, indem er sich zum Beispiel von den afrikanischen Staatsoberhäuptern zum »König der Könige« küren ließ, hinterließ der Libyer nennenswerte entwicklungspolitische Spuren auf dem Kontinent.

Möglich war das, weil Libyen seit den 60er Jahren stets unter den zwölf wichtigsten Ölexporteuren war und bei einer Bevölkerung von derzeit knapp 6,5 Millionen Menschen hohe Überschüsse erwirtschaftete. Doch während andere Mitglieder des Ölförderkartells OPEC, wie die Monarchien am Persischen Golf, ihre Milliarden in höchst fragwürdigen Überbietungswettbewerben um den höchsten Turm oder das größte Hotel verpulverten, finanzierte Libyen zum Beispiel vor knapp einem Jahr den ersten panafrikanischen Nachrichtensatelliten. Mit den mindestens 400 Millionen Dollar wird der Schwarze Kontinent erheblich unabhängiger von Westeuropa auf dem Gebiet der Telekommunikation.

Das Gros von Gaddafis Hilfsprojekten macht im Kontrast zu seinen martialischen Auftritten aber eine ganze Reihe unspektakulärer, jedoch sehr unmittelbar hilfreicher Unternehmungen aus; zum Beispiel »Malibia«, ein Bewässerungsprojekt im Grenzgebiet Libyens zu Mali, das dort Hunderten Bauern eine zuvor undenkbare landwirtschaftliche Existenz ermöglicht. Ähnliche Kooperationen existieren mit überwiegend armen schwarzafrikanischen Ländern.

Allerdings hatte die Hilfe Gaddafis immer auch eine Kehrseite, denn der sendungsbewusste Revolutionsführer verlangte für sein Engagement nicht selten eine regelrechte Unterwerfung unter seine mitunter sehr bizarren ideologischen Vorstellungen. Mal ging es um eine forcierte islamische Ausrichtung wie im Falle Gabuns, mal um verbale Huldigungen seiner »Dritten Universaltheorie« zur Entwicklung der Menschheit, wie sie in seinem in den 70er Jahren erschienenen Grünen Buch veröffentlicht wurde. Auf jeden Fall überzeugte er die Mehrheit der afrikanischen Staatsoberhäupter von einigen seiner überhaupt nicht wirren politischen Ideen.

So prophezeite er ihnen, sie würden auch die nächsten Jahrzehnte noch am Katzentisch der Weltwirtschaft sitzen, wenn sie ihre Forderungen an den Westen bzw. den Norden nicht radikaler stellten. Außerdem sollten sie ihre Beziehungen zu den Ländern des eigenen Kontinents weniger als Konkurrenz- und mehr als Kooperationsverhältnis betrachten. Schließlich appellierte er an die Afrikaner, sich eigene, nicht nach westlichen Strukturen ausgerichtete Institutionen zu schaffen – die Afrikanische Union (AU).

Das war ihm eine Menge libyscher Petrodollars wert. Und so unbestritten es ist, dass Gaddafi zuletzt zu nicht einem einzigen arabischen Führer bzw. Staat wenigstens normale politische Beziehungen aufweisen konnte, so richtig ist ebenso, dass für Schwarzafrika nahezu das komplette Gegenteil gilt. Selbst die, die auf Grund der Bedeutung ihres Staates oder ihrer persönlichen Macht für Gaddafi eigentlich Rivalen um den Platz an der Spitze der AU hätten sein können, wie der jeweilige Staatschef Nigerias oder Südafrikas Präsident Jacob Zuma, gehören zu seinen ausgewiesenen Freunden

Die Gründung der AU hätte es ohne Gaddafi nicht gegeben. Dass er ihr Vorsitzender wurde, war nur folgerichtig. In Westeuropa machte sich Gaddafi damit ein weiteres Mal unbeliebt. Ein derart unbequemer AU-Chef, der zudem mit Geld nicht zu kaufen war, stellte für sie den größten anzunehmenden Unfall dar.

Dass die afrikanischen Partner nicht zuletzt auf Grund der Spendierfreudigkeit Gaddafis über manche von dessen skurrilen Macken hinwegsahen, wird niemand ernsthaft bestreiten wollen. Allerdings müssen wohl auch seine Ideen für sie eine gewisse Überzeugungskraft gehabt und noch immer haben.

Anders als in Paris oder Rom, wo man heute den »Diktator« schmäht, den man gestern noch hofierte, hat sich Afrika trotz zu erwartender Erfolglosigkeit wiederholt um eine friedliche Lösung des libyschen Kriegs bemüht, namentlich Zuma. Noch immer gilt auch der Aufruf der AU an ihre Mitgliedsstaaten, den vom Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag ausgestellten Haftbefehl gegen Gaddafi zu ignorieren.

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