Zwei Welten

Lollipop Monster

  • Alexandra Exter
  • Lesedauer: 3 Min.

Dass »Lollipop Monster« in mancherlei Hinsicht eine abgeschwächte Version der Jugend abbildet, die Regisseurin, Comiczeichnerin, Rumtreiberin, Drehbuchautorin etc. pp. Ziska Riemann und Koautorin und Multitalent Luci van Org (zeitweise besser bekannt als Lucilectric) selbst durchlebten, man kann es eigentlich kaum glauben. Nun ist, auch das betonen beide gern, natürlich nicht alles in diesem Film auch gleich autobiografisch zu verstehen. Aber immerhin lässt sich nachlesen, dass die Figur der Ariane, gespielt von Jella Haase, wohl ein bisschen mehr der realen Luci entspricht, und dass Oona (Sarah Horváth) dann im Umkehrschluss wohl eher so etwas wie ein fiktionalisiertes Selbstporträt der Regisseurin ist.

Beide sind auf ihre Weise extrem in ihrer äußeren Unterscheidbarkeit von allen Mitschülerinnen, aber auch untereinander könnten sie unterschiedlicher kaum sein, was ihr äußeres Auftreten angeht. Oona, das schwarzgekleidete Gothic Girl aus der Künstlerfamilie mit der immer nur irgendwie halb fertigen Bleibe, und Ariane, die Lolita aus der zuckerkonfektbunten, puppenstubenhaft musterverliebten Heile-Welt-Inszenierung, sie sind beide einschlägig vorbelastet, was schwierige Familienstrukturen angeht, die eine Problemphase wie die Pubertät nicht gerade leichter machen. Ari entflieht der bonbonfarbenen Kitschidylle der heimischen Realitätsverweigerung in sexuelle Beziehungen zu älteren Männern, denen sie ein folgenfreies Vergnügen anbietet. Und Oona verrät ihrem Künstlervater erst, dass Mutter (Nicolette Krebitz, tröstungswillig) und Onkel offenbar Vergnügen aneinander gefallen haben, und gibt sich dann die nicht wieder gutzumachende Schuld an seinem prompten Selbstmord.

Lollipop und Monster, das sind in der Tat die beiden Welten, die in diesen beiden Mädchen aufeinanderprallen: eine schon fast zurückgelassene Kindheit auf der einen Seite, teenager-typische, hier ins Extrem gesteigerte und bald nicht mehr nur selbst-zerstörerische Ausbruchsversuche auf der anderen Seite. Ein geheimer Ort, an dem man den familiären Enttäuschungen entgehen kann, das gemeinsame Schwärmen für eine (fiktive) deutsche Punk-Band – die Mädchen suchen sich die Fluchtpunkte, die ihnen das Leben erträglich machen, und werden Freundinnen über die ganze Farbpalette hinweg, weil sie sonst niemanden haben. Bis Ari sich mit Lukas einlässt, dem ehebrecherischen Onkel, der eine Mitschuld trägt am Tod von Oonas Vater.

Da brechen die familiären Probleme, die von den Erwachsenen auf beiden Seiten unter den Teppich gekehrt, verschwiegen, geleugnet, geduldet, sicher nie gelöst werden, auch zwischen den beiden Teenagern auf. Und enden in einer Implosion von Sex und Neid und Ressentiments, in Mordkomplott und Blutorgie, wie »Heavenly Creatures« es vorgemacht hat und »Ein kleiner Film über das Töten«. »Lollipop Monster« ist filmische Pubertäts-Pop Art in Stilformen, so unterschiedlich wie die Freundinnen selbst, mal bunt, mal schwarz, mal krabatartig animiert, mal im nostalgischen Super8-Look.

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