Preis für Arbeitsentzug und Schikane

Die Konstanzer Maultasche wurde am Donnerstag an den Terra-Verlag verliehen

  • Holger Reile
  • Lesedauer: 3 Min.
Nach dem Maultaschen-Fall, einer Bagatellkündigung, die bundesweit für Aufsehen sorgte, gründete sich in Konstanz das »Maultaschen-Komitee«, das jährlich einen Negativpreis für besonders beschäftigenfeindliche Unternehmer vergibt.

Rund zwei Jahre ist es her, da wurde einer altgedienten Altenpflegerin von der Spitalstiftung Konstanz fristlos gekündigt, weil sie einige Maultaschen mitgenommen hatte, die ansonsten weggeworfen worden wären. Der Fall ging bundesweit durch die Medien. Aus Protest gegen diesen Vorfall gründete sich ein unabhängiges Bürgerkomitee, das seitdem jährlich den »Konstanzer Maultaschenpreis« an Firmen aus dem Landkreis Konstanz vergibt, die durch besonders beschäftigtenfeindliches Verhalten aufgefallen sind.

Die Maultasche 2011 wurde gestern dem Konstanzer Terra-Verlag verliehen. Schon 2003 hatten die damals rund 30 Angestellten einen dreiköpfigen Betriebsrat gewählt, da das Betriebsklima zunehmend schlechter geworden war. Als 2006 der Juniorchef Dirk Heizmann das Ruder im Verlag übernahm, verschärfte sich der Umgangston. Der damalige Betriebsratsvorsitzende erhielt nach 25 Jahren unbeanstandeter Tätigkeit mehrere Abmahnungen aus nichtigen Gründen und verließ schließlich entnervt das Unternehmen.

Schikanen waren beim Terra-Verlag an der Tagesordnung, wie auch gestern ehemalige Angestellte bei einer Pressekonferenz bestätigten. »Der Umgang des Geschäftsführers mit uns war menschenverachtend«. Beschäftigte wurden beim Besuch des Betriebsrats kontrolliert und eingeschüchtert. Betriebsratsschulungen wurden verweigert und mussten mühsam erkämpft werden. Im Juni 2008 wurde ein neuer Betriebsrat gewählt, doch schon nach knapp zwei Monaten wurde die neue Vorsitzende des Gremiums fristlos entlassen. Einer anderen Angestellten, die seit 38 Jahren im Verlag in vertrauensvoller Stellung beschäftigt war, entzog man ihre bisherigen Aufgaben, weil sie, so die Begründung, »als aktives Mitglied des Wahlvorstandes für die Geschäftsführung nicht mehr vertrauenswürdig« sei.

Im November 2008 wurde einem weiteren Betriebsratsmitglied, gekündigt, das seit 38 Jahren in dem Verlag beschäftigt war. Man hatte ihm einen Arbeitsplatz in einem schummrigen Kellerraum angewiesen, ohne Heizung, ohne Telefon – und ohne Arbeit. Einen Tag vor seinem Arbeitsgerichtstermin brach der Mann zusammen und kam in die Klinik.

Und es wurde weiter gemobbt: Im Januar 2010 bekamen die beiden letzten Betriebsrätinnen des Verlags eine Kündigung. Die eine war elf Jahre im Betrieb, die andere 40. Psychisch und körperlich am Ende stimmten sie Abfindungsvergleichen zu und verließen den Verlag wenige Monate später.

Das Maultaschen-Komitee wusste gestern von mindestens vier weiteren Beschäftigten zu berichten, die aufgrund der Schikanen ebenfalls seelisch erkrankten und zum Teil bis heute in Behandlung sind. In fast allen Fällen, so die Recherchen, »war monatelanger Arbeitsentzug vorausgegangen«. Fazit des Komitees: Innerhalb weniger Jahre habe es die Zeitschriftenverlegerfamilie Heizmann geschafft, »einen gewählten Betriebsrat zu beseitigen und sich aller Gewerkschaftsmitglieder zu entledigen«. Nach der Pressekonferenz begab man sich zum Firmensitz, um den Preis – südbadische Maultaschen – zu übergeben. Doch die Tür blieb zu, Verlagschef Heizmann verschanzte sich in seinem Büro.

Nominiert waren auch zwei weitere Unternehmen aus dem Landkreis Konstanz: Die Singener Firma E.W.Gohl und das Reichenauer Unternehmen Maurer-Atmos. In beiden Fällen ging es um Entlassungen bzw. die Abschiebung von Beschäftigten in die Leiharbeit.

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