Linksschwenk in Frankreichs Senat?

Chancen auf einen Umbruch bei den Wahlen am Sonntag stehen nicht schlecht

  • Ralf Klingsieck, Paris
  • Lesedauer: 3 Min.
Wenn am Sonntag der Senat, die zweite Kammer des Parlaments, gewählt wird, könnte es erstmals in der Geschichte der Französischen Republik passieren, dass dieses traditionell konservative Gremium eine linke Mehrheit bekommt.

Dazu muss die Linke 22 der bisher 343 und künftig 348 Sitze hinzugewinnen. Heute haben die Sozialisten hier 116 Mandate, die Kommunisten 24 sowie die Gruppe der Partei der Grünen und der Linken Radikalen Partei zusammen 17. Die Chancen für den Wechsel im hohen Haus stehen nicht schlecht, immerhin konnten die linken Parteien bei der Senatswahl 2008, als ein Drittel der Sitze erneuert wurde, 23 hinzugewinnen. Inzwischen gab es eine Reform, bei der die Amtszeit der Senatoren von neun auf sechs Jahre verkürzt und ihre Zahl aufgestockt wurde. Das hatte zur Folge, dass nun gleich die Hälfte der Sitze neu vergeben wird.

Der Wahlprozess ist allerdings komplizierter als bei der Nationalversammlung, deren Abgeordnete direkt gewählt werden. Die 1958 von General Charles de Gaulle diktierte Verfassung der 5. Republik gibt dem Senat eine – wie es ein Verfassungsjurist einschätzt – »ausgleichende Rolle« gegenüber möglichen »radikalen Ambitionen« der Nationalversammlung. Um dieser Rolle gerecht zu werden, musste ein Kandidat für einen Senatorensitz bisher mindestens 35 Jahre alt sein. Diese Altersgrenze wurde bei der jüngsten Reform immerhin auf 30 Jahre gesenkt. Außerdem werden sie von der »Provinz« gewählt, die traditionell konservativer ist als die Hauptstadt. Wahlberechtigt sind landesweit nur 150 000 sogenannte Große Wähler – Mitglieder von Kommunalräten, Generalräten der Departements oder Regionalräten, die dafür von ihren Kollegen ausgewählt wurden. Da es bei der Nominierung der Großen Wähler mehr vor allem um die Persönlichkeit geht, ist etwa die Hälfte von ihnen sogar parteilos.

Dass die Linke in diesem Jahr gute Voraussetzungen für die Eroberung der Mehrheit im Senat hat, liegt nicht zuletzt an ihrem sehr guten Abschneiden bei den Kommunalwahlen 2008 und den Regionalwahlen 2010, als viele linke Politiker gewählt wurden, die ihrerseits jetzt Große Wähler sind. Außerdem macht sich unter Kommunal- und Regionalpolitikern Unzufriedenheit breit über die Territorialreform der Rechtsregierung, durch die willkürlich neue Wahlkreise geschaffen und so viele Politiker aus angestammten Positionen katapultiert werden. Zudem gibt es erheblichen Widerstand gegen die Absicht, die Departements ganz abzuschaffen und ihre Aufgaben den 28 Regionen zu übertragen.

Vor allem jedoch wächst die Verärgerung darüber, dass die Regierung immer mehr soziale Aufgaben und andere Lasten auf die Departements und Regionen abwälzt, ohne ihnen entsprechende finanzielle Mitteln aus dem Staatshaushalt zu überweisen. Im Senat macht sich diese Frustration immer öfter Luft. Zwar sind die Kompetenzen und Rechte der Senatoren gegenüber denen der Abgeordneten der Nationalversammlung eingeschränkt, denn bei Differenzen über einen Gesetzestext hat die Nationalversammlung das letzte Wort. Doch darauf lässt man es selten ankommen. Seit Jahrzehnten wurden neun von zehn Gesetzen erst nach Aushandlung eines Kompromisstextes zwischen beiden Kammern angenommen. Die Regierung musste also meist auf die Meinung des Senats Rücksicht nehmen, so schwer ihr das manchmal fiel.

Wenn das Hohe Haus nun vielleicht mehrheitlich an die Linke fällt, dürfte das noch ungleich schwerer werden. Ideal für die Linke wäre es, wenn sie jetzt die Senatswahl gewinnt und im kommenden Frühjahr die Präsidentschaftswahl sowie anschließend auch noch die Parlamentswahl. Dann könnte sie dank ihrer absoluten Zwei-Drittel-Mehrheit im Kongress, der gemeinsamen Tagung beider Kammern des Parlaments, jede von ihr gewünschte Verfassungsänderung beschließen und sogar eine demokratisch gründlich erneuerte 6. Republik ausrufen.

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