Gesellenstück Kreuzgittergewölbe

In Königslutter wird Nachwuchs für eine uralte Handwerkerzunft ausgebildet – die Steinmetze

  • Harald Lachmann
  • Lesedauer: 3 Min.
Im niedersächsischen Königslutter werden junge Leute in einem inzwischen seltenen Beruf ausgebildet – Steinmetz. Die Motivation dafür haben sie dort täglich vor Augen: den Kaiserdom von 1135.
Der Schlussstein wird gesetzt: Steinmetzeleven passen das Segment exakt in den ersten Gurtbogen für ein gotisches Kreuzrippengewölbe ein.
Der Schlussstein wird gesetzt: Steinmetzeleven passen das Segment exakt in den ersten Gurtbogen für ein gotisches Kreuzrippengewölbe ein.

»So bunt, unterschiedlich und individuell diese Steine auch behauen wurden: Jeder trägt eure Handschrift und euer Steinmetzzeichen. So fügen sie sich doch zu einem Ganzen. Ein Stein stützt den anderen – und das Ganze kann nicht ohne den Einzelnen«, ruft Achim Brinke mit feierlicher Stimme in das Rund der versammelten Steinmetzeleven. Dann gibt er das Signal, den Schlussstein zu setzen.

Drei Lehrlinge oben auf dem Gerüst haben bereits das sandsteinerne Werkstück in der Hand und passen es nun exakt in den ersten Gurtbogen für ein gotisches Kreuzrippengewölbe ein. Dieses soll fortan Stein um Stein weiterwachsen – nach historischen Vorbildern gefertigt von den angehenden Gesellen der Steinmetzschule im niedersächsischen Königslutter.

Ein Schlag dem Bauherren

Der 19-jährige Henrik Havighorst schwingt einen Hammer und verkündet dazu nach altem Brauch den Richtspruch: »Der erste Schlag gilt dem Bauherrn, der ohne Murren die Zeche zahlte ... der zweite dem Baumeister, der die Risse fertigte, nach denen dieser Bau sich fügen soll … der dritte den Bauleuten, den ehrbaren Gesellen und Lehrlingen, die mit Fleiß und Schweiß diesen ersten Bogen errichtet haben für einen Bau, der der Wahrung und Weitergabe unserer Tradition dienen soll ...« Dann nehmen alle einen Schluck aus einem historischen Kelch. Den hat auch ganz stilecht Achim Brinke besorgt. Der junge Fachlehrer an der ehrwürdigen Ausbildungsstätte bei Braunschweig ist studierter Architekt und zugleich Vater der ganzen Aktion, die nicht nur im Steinmetzmetier bundesweit Beachtung findet. Denn jenes Gewölbe gehört zu Projekten, die die Deutsche Stiftung Denkmal (DSD) für ihre alljährige Aktion »Denkmal aktiv« auserwählte.

Mit solchen Vorhaben wolle man Heranwachsende motivieren, »die gebaute Umwelt genauer wahrzunehmen und das kulturelle Erbe als Teil der eigenen Geschichte kennenzulernen«, so Wolfgang Illert, der Geschäftsführer der in Bonn ansässigen Stiftung. »Denkmal aktiv« zeige ihnen Wege auf, sich für den Erhalt von Kulturdenkmalen einzusetzen. Die DSD begleitet die Schulen dabei fachlich und organisatorisch und unterstützt sie auch finanziell. Jedes ausgewählte Projekt erhält einen Zuschuss von 2000 Euro. Nachdem im letzten Schuljahr 79 Projekte berücksichtigt wurden, seien es nun sogar 83 in dreizehn Bundesländern, so Illert.

Auch das Projekt in Königslutter lief offiziell nur ein Jahr. Das Geld teilte man sich zudem mit der Berufsbildenden Schule Helmstedt. Deren Schüler fertigten etwa die Fundamente für das Kreuzrippengewölbe. Doch Brinke sieht »Denkmal aktiv« im Grunde als Initialzündung für eine längerfristige Sache. Er will mit den Jugendlichen »ein Identifikationsobjekt schaffen, das deren heutiges handwerkliches Tun mit einer jahrhundertealten Bautradition verbindet«. Dazu erforschten diese auch lokale Baudenkmale, erstellten einen Atlas der vorgefundenen Baudetails, gründeten eine Bauhütte und machten das Entdeckte auch für andere erlebbar.

Ewige Spuren

Daneben erarbeiten die künftigen Steinmetze und Steinbildhauer ein Hüttenbuch, in dem jeder neben den dokumentieren Arbeitsergebnissen auch sein eigenes, selbst kreiertes Steinmetzzeichen wiederfindet. Diese sollen künftig auch im Pflaster rings um das Kreuzrippengewölbe verewigt werden. »Ihr werdet also Spuren hinterlassen wie unsere Altvorderen und eine Tradition fortschreiben, die seit Jahrhunderten besteht«, so Brinke zu den Lehrlingen.

Immerhin ist Königslutter neben dem fränkischen Wunsiedel und dem sächsischen Demitz-Thumitz die bundesweit wichtigste Nachwuchsschule für das älteste Handwerk der Menschheitsgeschichte. Hier lehrt beispielsweise auch ein renommiertes Zentrum für überbetriebliche Ausbildung das gekonnte Bearbeiten von Sandstein, Granit oder Marmor. Auch angehende Steinmetzmeister erfahren hier die höheren Weihen ihres Berufes. Die Motivation dafür hat man hier täglich vor Augen: den Kaiserdom von 1135. Vor allem im Kreuzgang, der zu den schönsten Deutschlands zählt, hinterließen Steinmetze ihre Spuren – und Zeichen.

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