Gipfel mit offenem Ausgang

Differenzen quer durch die Teilnehmer überschatten EU-Osteuropa-Treffen

  • Kay Wagner, Brüssel, und Julian Bartosz, Wroclaw
  • Lesedauer: 3 Min.
Ein Höhepunkt der polnischen EU-Ratspräsidentschaft hätte er werden sollen, der EU-Gipfel zur östlichen Partnerschaft, der seit gestern in Warschau stattfindet und heute endet. Doch es sieht so aus, als ob das Treffen zwischen hohen EU-Vertretern und Abgesandten von sechs ehemaligen Sowjetrepubliken – die Ukraine, Belarus, Moldova, Armenien, Aserbaid-shan und Georgien – zu einem Schönwettergipfel verkommt.

Plötzlich spricht keiner mehr davon, was noch vor Monaten das Ziel war. Sowohl ein Assoziations- als auch ein Freihandelsabkommen mit der Ukraine hätten in Warschau unterzeichnet werden sollen. Das wäre, abgesehen vom Erfolg für die Ukraine, ein starkes Signal an die fünf anderen Staaten gewesen: »Seht her, engere und damit profitable Beziehungen zum Westen sind möglich.«

Aber dazu kommt es nicht, gerade einmal über einen neuen Termin für die Unterzeichnung der geplanten Abkommen soll mit der Ukraine verhandelt werden. Zwar sei auch die EU nach wie vor an Handelserleichterungen und Reisefreiheit interessiert, sagte am Dienstag vor dem Straßburger Parlament die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton. Aber nur, wenn Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit und im besten Fall stabile Demokratien in den Partnerländern Einzug halten.

Doch von diesbezüglichen EU-Maßstäben sind alle sechs Partnerstaaten noch mehr oder weniger weit entfernt. Korruption und kriegerisches Säbelrasseln in regionalen Konflikten der Kaukasusregion lassen Armenien, Aserbaidshan und Georgien zu wackeligen Kandidaten werden. In Belarus regiert mit Alexander Lukaschenko ein Mann, der von der EU als »Quasi- Diktator« angesehen wird. Auch auf Drängen der deutschen Bundeskanzlerin wurde Lukaschenko als einziges Staatsoberhaupt nicht zum Gipfel eingeladen. Statt seiner sollte Außenminister Sergej Martynow kommen. »Darauf haben sich die Polen mit der belarussischen Opposition verständigt«, erklärte eine Sprecherin des EU-Rats in Brüssel. Martynow aber will sich von seinem Warschauer Botschafter vertreten lassen.

Bereits die Vorbereitungstagung zu der Konferenz, an der Mitte September EU-Parlamentarier und Abgeordnete aus den sechs Ländern teilnahmen, hatte im Eklat geendet. Die Delegationen der kaukasischen Staaten zerstritten sich und die Mehrheit der Teilnehmer lehnte die Vorlage zu einer Belarus-Entschließung mit dem Argument ab, über abwesende (d.h. nicht eingeladene) Staaten wolle man nicht richten.

Der ukrainische Präsident Viktor Janukowitsch durfte kommen, obwohl die EU auch mit ihm große Schwierigkeiten hat. Denn manche Vorgänge im Lande erscheinen aus Brüsseler Sicht wenig rechtsstaatlich. »Wenn ich heute höre, dass der Staatsanwalt sieben Jahre Haft für Julia Timoschenko (die ehemalige prowestliche Regierungschefin – d. R.) sowie eine Geldstrafe von 1,5 Milliarden Dollar fordert und Janukowitsch bis zum Freitag darauf nicht reagieren sollte, weiß ich nicht, was wir dann machen sollen«, empörte sich der christdemokratische EU-Abgeordnete Elmar Brok. Offen klingt darin der Vorwurf an, Kiew habe die Verhaftung Timoschenkos und einiger ihrer Verbündeten betrieben, um die Opposition ruhigzustellen.

Nur über Moldova sind keine großen Klagen zu hören. Im Gegenteil fand ein deutscher Regierungssprecher am Dienstag lobende Worte für die Bemühungen in Chisinau, die Probleme im Verhältnis zur abtrünnigen Dnjestr-Republik zu lösen. Dabei gibt es in dieser Frage seit mindestens zwei Jahren – so lange ist Moldova ohne ordentlich gewählten Präsidenten – keinerlei Fortschritt.

»Die konkreten Fortschritte im Verhältnis der EU zu den einzelnen Staaten der Partnerschaft laufen sowieso auf bilateraler Ebene«, bremst Kacper Chmielewski, Sprecher der polnischen EU-Ratspräsidentschaft, die Erwartungen. Der Warschauer Gipfel sei dazu da, alle Beteiligten zusammenzuführen. Denn wichtig sei, dass die sechs Saaten selbst engere Beziehungen zueinander pflegten und die Potenziale der Zusammenarbeit ausschöpften. Dazu soll auch ein Wirtschaftsforum dienen, das zeitgleich in Sopot an der Ostsee stattfindet, sowie ein Treffen von Vertretern der Zivilgesellschaften. Vor ein paar Monaten hatten sich die Ziele noch viel ehrgeiziger angehört.

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