Die Flüchtlingsschutzlotterie

Deutsche Politiker haben Unterkünfte für Asylsuchende besucht

  • Thomas Blum
  • Lesedauer: 4 Min.
Auf einer Tagung der Friedrich-Ebert-Stiftung wurde über das gegenwärtige Elend und die Zukunft der europäischen Flüchtlingspolitik diskutiert.

40 Personen auf einem Raum von etwa 60 bis 70 Quadratmetern, zusammengepfercht hinter Gittern, in einem lagerhausähnlichen Gebäude. Sie haben »keine Heizung, kein Warmwasser, keine Möglichkeit, nach draußen zu gehen, es gibt keine medizinische Grundversorgung«. Entlang einer Wand des Raums reiht sich eine Matratze an die andere. »Nicht jeder hat eine Matratze«, sagt Rüdiger Veit, Bundestagsabgeordneter der SPD, der als Angehöriger einer Delegation des Innenausschusses vor vierzehn Tagen Flüchtlingsunterkünfte in Griechenland, auf Malta und der Insel Lampedusa besuchte.

Er berichtet von einer Flüchtlingsunterkunft in Griechenland. »Für Abtritt und Dusche gibt es zwei Löcher im Boden, aber keine vernünftige Kanalisation. Dabei ist es nicht ausgeschlossen, dass Exkremente und Urin auch unter die Matratzen fließen. Der Gestank ist unvorstellbar«, erzählt er. »Ich hätte mir so etwas auf europäischem Boden nicht vorstellen können. Ich schäme mich als Sozialdemokrat«, sagt er. Dasselbe will er auch dem griechischen Minister für Bürgerschutz, Christos Papoutsi, mitgeteilt haben, der seine »Betroffenheit gezeigt« haben soll.

Was Veit beschreibt, ist eine Folge der gegenwärtigen europäischen Flüchtlingspolitik, über die Anfang dieser Woche auf einer Tagung diskutiert wurde, zu der die Friedrich-Ebert-Stiftung geladen hatte. Es sollte darüber geredet werden, wie der Schutz von Flüchtlingen verbessert werden kann und wie deren elementare Rechte besser gewahrt werden können.

Allerdings geht es den Staaten der EU zunächst vor allem darum, Flüchtlinge fernzuhalten. Und wenn ihnen dies nicht gelingt, gilt weiterhin: Die Verantwortung für Flüchtlinge wird nach wie vor auf die Staaten am Rande Europas abgewälzt. Der sogenannten Dublin-II-Verordnung zufolge ist für den ankommenden Flüchtling der Staat zuständig, der die Einreise des Asylsuchenden nicht verhindert hat. Ein rechtsstaatliches Asylverfahren haben die Flüchtlinge in den meisten dieser Staaten nicht zu erwarten. Vielmehr müssten sie an den Außengrenzen Europas mit »Grundrechtsverletzungen und einer erniedrigenden Behandlung« rechnen, sagt Marei Pelzer von der Flüchtlingsorganisation Pro Asyl. Die Chance, als Flüchtling anerkannt zu werden, sei überdies je nach Aufnahmeland »extrem unterschiedlich«, es handele sich um eine »Flüchtlingsschutzlotterie«.

Ein Problem sei auch die grundlose dauerhafte Inhaftierung von Flüchtlingen. »Diese Staaten sind nicht in der Lage, rechtmäßige Asylverfahren zu organisieren«, kritisiert Pelzer. »In vielen dieser Länder werden Asylsuchende, auch dann, wenn sie traumatisiert sind, generell ein halbes oder ein Jahr inhaftiert, bevor etwas geschieht«, sagt sie. Geht es nach der derzeitigen Gesetzgebung, wird das so bleiben. Auch Kerstin Becker vom Deutschen Roten Kreuz moniert, dass auch künftig unbegleitete, minderjährige Flüchtlinge zur Feststellung ihrer Identität in Gewahrsam genommen, d.h. eingesperrt werden sollen.

Marei Pelzer zufolge wären sogenannte Resettlement-Programme eine Lösung: Deutschland müsse Staaten wie Griechenland »Flüchtlinge abnehmen, insbesondere Minderjährige, die von Flucht und Haft traumatisiert sind«. Doch solche Programme werden von der Bundesregierung bislang abgelehnt. Man habe in dieser Sache auch mit dem Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) gesprochen, sagt Rüdiger Veit, doch die Gespräche mit ihm seien ergebnislos verlaufen. »Mit Resettlement und gerechter Lastenverteilung habe man nichts am Hut, hieß es.«

Über die »schockierenden Bedingungen«, unter denen Flüchtlinge leben müssen, war man sich auf dem Podium einig. Doch nur Sophia Wirsching, die bei der Hilfsorganisation »Brot für die Welt« für Migration und Entwicklung zuständig ist, benennt Ursachen der Misere: Über die Zunahme »irregulärer Migration« aus afrikanischen Staaten müsse man sich nicht wundern, wenn den Menschen dort »in großem Ausmaß die Lebensgrundlagen entzogen« würden, so Wirsching. »Die Politik der Abschottung funktioniert sehr gut, Entwicklungspolitik eher weniger.« Den Begriff »Kapitalismus« vermeidet sie, doch dass sogenannte Entwicklungspolitik vor allem Wirtschaftspolitik ist, wird aus ihren Worten ersichtlich: »Europa macht keine glaubwürdige Politik, wenn Fischereirechte so gestaltet werden, dass afrikanische Fischer kein Auskommen mehr haben, wenn Agrarpolitik gemacht wird, die dafür sorgt, dass afrikanische Produkte keinen Zugang zum europäischen Markt haben, wenn Waffen- und Giftmüllexporte aus aus Deutschland an der Tagesordnung sind.«

Heute wird übrigens der bundesweite Tag des Flüchtlings begangen.

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