Gut gebrüllt, Ed! – Labour sucht ihren Kurs

Vorsitzender Miliband hielt auf dem Parteitag in Liverpool eine kämpferische Rede

  • Thomas Kachel, Cambridge
  • Lesedauer: 3 Min.
Ein Jahr hat die britische Öffentlichkeit gewartet zu erfahren, wer Ed Miliband eigentlich ist. Die Frage stand im Raum: Wie will der Vorsitzende Labour strategisch positionieren?

Die Lage ist nicht einfach für Labour im Jahr 2011.

Da ist in der Bevölkerung das nach wie vor verbreitete Misstrauen gegenüber der neoliberalen Korruption unter New Labour in den vergangenen 13 Jahren.

Da ist eine so brutal wie effektiv agierende Koalitionsregierung aus Konservativen und Liberalen, die in den Medien geschickt »good cop, bad cop« spielt. Ergebnis: Trotz einer explodierenden Jugendarbeitslosigkeit und beispielloser Kürzungsorgien der Regierung liegt Labour in den Meinungsumfragen gerade mal gleichauf mit den Konservativen. Auch das Profil des Vorsitzenden blieb über das Jahr hinweg blass, trotz seines mutigen Auftretens im Abhörskandal, in dem er als erster Spitzenpolitiker das Tabu der Murdoch-Medienmafia brach.

Viele sahen den Labour-Parteitag in Liverpool diese Woche als Milibands letzte Chance, sich und der Partei ein Profil zu verpassen. Und Miliband nutzte diese Chance.

In einer couragierten Rede distanzierte er sich von der »Ökonomie der letzten 30 Jahre, die von den falschen Werten geprägt war«. Er schloss auch Tony Blair und Gordon Brown in diese Kritik mit ein. Er kritisierte eine Mentalität des »Nehmens ohne Geben« an beiden Polen der Einkommensskala, unterschied zwischen Produzenten (die der Gesellschaft Werte zurückgeben würden) und »Fleischfressern«, die nur für den eigenen Vorteil wirtschafteten, und kündigte an, nach dieser Unterscheidung in einer zukünftigen Regierung auch Unternehmertum differenziert zu fördern. Miliband wollte sich auf diese Weise wohl nicht dem rechten Vorwurf aussetzen, einer Nehmermentalität in sozial schwachen Milieus das Wort zu reden, er wollte aber offenbar gleichzeitig den Anteil der Profite des Finanzkapitals am Steueraufkommen einfordern, der vor allem unter New Labour unabgeschöpft blieb. Es war bezeichnenderweise dieser Vergleich, der nach dem Ende der Rede sofort wütende Proteste der anwesenden konservativen Journalistenschaft auslöste.

In weiten Teilen war die Rede eine Abrechnung, eine verdiente. Auch eine mutige Willenserklärung, sich mit dem Finanzkapital anzulegen. Und doch blieb Miliband inkonsequent und theoretisch: Warum das Nachbeten des konservativen Mantras, dass »viele Kürzungen nicht zurückgenommen werden« könnten, wenn man sich denn schon das Ziel stellt, Banken und Finanzinstitutionen stärker zu besteuern? Hätte das Eingeständnis sozialpolitischer Fehler nicht das Versprechen nach sich ziehen können, den Bau von dringendst gebrauchtem sozialen Wohnraum, der vom privaten Sektor boykottiert wird, endlich wieder in öffentliche Hände zu nehmen, genauso wie jene augenfälligste Missgeburt der Zwangsprivatisierungen, das Eisenbahnsystem? Und warum ziert sich Miliband immer noch, den Gewerkschaften zur Seite zu stehen, die für den 30. November einen Streik des öffentlichen Sektors vorbereiten, um gegen die Zwangsentwertung ihrer Renten zu protestieren?

Dennoch war die Rede eine Weichenstellung, die klar macht, dass Sozialdemokratien durchaus versuchen können, sich vom Diktat des Neoliberalismus zu befreien.

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