Wozu so tun, als ob?

Melancholia von Lars von Trier

  • Kira Taszman
  • Lesedauer: 3 Min.

Eine junge blonde Frau steht wie in Trance in einem Park, um sie herum fallen in Zeitlupe tote Vögel vom Himmel. Wenig später sieht man dieselbe Frau, ebenfalls zeitverzögert, über einen Rasen schreiten: Ihr Brautkleid hat sich in riesigen schwarzen Spinnenfäden verfangen. Zeitgleich versinkt ein prächtiger Rappe schnaubend in einem Rasen, der sich zum Sumpf gewandelt hat ?

In einen verbalen Sumpf hatte sich in Cannes der Schöpfer dieser Untergangsbilder begeben, die den Auftakt seines Filmes bilden: Lars von Trier. Das Enfant Terrible vom Dienst hatte sich auf der Pressekonferenz nach der Präsentation seines Films in einen irren Wortschwall hineingesteigert, der mit dem Bekenntnis zu seinem vermeintlichen Nazitum endete.

Zwar enthält der Soundtrack von »Melancholia« mehrheitlich Wagner-Musik, doch von Triers Film ist so frei von nationalsozialistischem Gedankengut wie der Regisseur selbst. Stattdessen schafft von Trier, der immer wieder angibt, seine Depressionen in seinen Filmen künstlerisch zu verarbeiten, zweierlei: Anhand des sensiblen Porträts zweier Schwestern zelebriert er nichts weniger als das Ende unserer Zivilisation.

Die melancholische jüngere Schwester Justine (Kirsten Dunst) ist die bereits beschriebene Braut und tut alles dafür, ihre Hochzeit im Desaster enden zu lassen. Auf dem prächtigen Anwesen ihres Schwagers, dem Austragungsort der Feier, herrschen Sticheleien zwischen ihren geschiedenen Eltern vor, peinliche Reden und angespannte Gesichter allerorten. Die Braut selbst pfeift immer mehr auf das Diktat des Anstands und gibt sich ganz ihrer wankenden Stimmung hin. Am Ende hat Justine alles torpediert: Sie hat ihren Chef aggressiv angepöbelt, auf dem Golfplatz Spontan-Sex mit einem Unbekannten und ihren verstörten Gatten verjagt.

Von Trier fängt das Geschehen mit einer Wackelkamera ein, die seiner »Dogma«-Periode entlehnt zu sein scheint. Sie nähert sich den Protagonisten extrem und bringt dem Zuschauer den ruhelosen Geisteszustand seiner Heldin nahe. Von Triers unverhohlene Sympathie gehört der Braut: Weshalb sie alle sozialen Brücken - außer zur Schwester und zum Neffen - abbricht, erklären ihre im Vorfeld gezeigten Visionen, die sich alle bewahrheiten werden. Unaufhaltsam rast ein Planet namens Melancholia auf die Erde zu: Binnen weniger Tage wird er mit ihr zusammenprallen. Wozu also noch so tun, als ob? Die Schwester Claire (Charlotte Gainsbourg) dagegen, eine Frau, die stets funktioniert, opfert sich für die Gesellschaft und die Schwester auf - und scheitert doch auf ganzer Linie. Der reichen Familienmutter gehört der zweite Teil des Films, in dem sie angesichts der existenziellen Bedrohung immer mehr in Panik verfällt. Claire hat viel zu verlieren, während sich bei der depressiven Justine eine Art Gelassenheit einstellt.

Von Triers Stilmittel sind die Kontraste: Zum einen der ungeschminkte Realismus, Sinnbild für unsere conditio humana samt ihrer Heuchelei, Gier und Gleichgültigkeit. Auf der anderen Seite stehen hyperstilisierte Bilder der Protagonisten, der Erde und des Universums samt Wagner-getränktem Pathos. Ohnmächtig und sehenden Auges schlittert die Menschheit in ihr Verderben - offenbar kein Verlust für von Trier. Er begegnet dem Weltuntergang mit konsequentem Fatalismus. Auf Schock-Elemente wie in seinem Vorgängerwerk »Antichrist« verzichtet er, eine morbide Spannung erzeugt er dennoch. Auch schlägt sich von Trier hier ganz auf die Seite der Frauen - nicht unbedeutend bei einem Künstler, dessen eigenwilliges Frauenbild Heldinnen vom willigen Opfer (»Dancer In The Dark«) bis hin zur heiligen Nutte (»Breaking The Waves«) zeitigte.

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