Spießer mit glatter Benutzeroberfläche

Die Piratenpartei bleibt, was sie ist: brav, politisch ambivalent und computerfixiert

  • Thomas Blum
  • Lesedauer: 3 Min.
Auf ihrer ersten Bundespressekonferenz präsentierte die Piratenpartei ihre bundespolitischen Vorstellungen.

Es ist, als wollten die Piraten alle Vorurteile bestätigen, die gegen sie gehegt werden. Außenpolitik? »Wir haben noch nicht alle Themen bearbeitet.« Wirtschaftspolitik? »Es gibt Arbeitsgruppen, die sich damit befassen.« Sozialpolitik? »Das wird ein Prozess werden, der einige Zeit in Anspruch nehmen wird.« Afghanistan-Politik? »Dazu haben wir noch keine Meinung im Programm.« Steuerkonzepte? »Wir müssen das erst prüfen und durchrechnen.« Auch beliebt sind folgende Formulierungen: »Darauf haben wir noch keine Antwort.« »Wir haben dazu noch keinen Entschluss gefasst.« »Wie das konkret aussehen wird, kann ich noch nicht sagen.« »Wir arbeiten derzeit intensiv an Politikfeldern, die wir noch nicht bearbeitet haben.« Oder Leerformeln, eine Art Sprachwatte, deren Benutzung den Piraten bereits genauso leicht fällt wie den Floskelexperten der sogenannten etablierten Parteien: »Niemand kann in die Zukunft schauen.« »Ich bin sehr zuversichtlich.«

Die Piratenpartei ist eine junge Partei, wie von ihren Funktionsträgern fortwährend betont wird, ihre aus Fertigsprachbauteilen zusammengeschraubten Formulierungen allerdings gleichen verdächtigerweise denen der herkömmlichen Parteien bis ins Detail. Doch das bleibt nicht der einzige Hinweis darauf, dass man es hier mit kreuzbraven Spießern zu tun hat. Ein Sammelbecken von zumeist jungen Leuten ist es, die - vorsichtig formuliert - in zahlreichen politischen Fragen ambivalent sind und nicht selten »keine Meinung« haben, und zwar weder im Programm noch im Kopf. Weswegen die Piraten sich auch mit ihrer Einordnung im politischen Spektrum, nach der sie immer wieder gefragt werden, so schwer tun. »Weder links noch rechts« sei man, sondern »sozialliberal«. Das »eher linke« Sozialprogramm bedeute nicht, »dass wir als Partei linksgerichtet sind«, stellt Sebastian Nerz nebulös klar, der Parteivorsitzende. Und dann sagt er wieder etwas, das so klingt, als habe er es aus dem Gemeinschaftskundebuch auswendig gelernt: »Liberal bedeutet, dass der Staat sich nicht einmischen muss.« Und, mit einem drolligen Versprecher versehen: »Wir sind für einen Staat, in dem der Bürger weitgehend frei sich selbst bestimmen lassen kann.«

Auch auf die Frage nach künftigen Koalitionen mit anderen Parteien antwortet Nerz nicht als Revoluzzer, sondern als langweiliger Pragmatiker: Derlei Fragen wolle man mit den Mitgliedern abstimmen, Koalitionsverhandlungen wolle man »sachbezogen« führen. Koalitionen mit Rechtsextremisten seien ausgeschlossen, ebenso Koalitionen mit »Linksextremisten«, die entweder den Staat auflösen wollten oder das Kollektiv über den Einzelnen stellten. Eine politische Zusammenarbeit gebe es nur mit Linken, »die die Freiheit des Individuums in den Vordergrund stellen«.

»Von der alten FDP unterscheiden wir uns dadurch, dass wir wissen, wie das Netz funktioniert, welche Chancen es bietet«, sagt Andreas Baum, der Berliner Fraktionschef. Da ist es wieder, das Zauberwort: das Netz. Gemeint ist das Internet. Von ihm erwartet man sich die Lösung aller Probleme und die totale Basisdemokratie. Mehr Transparenz, Bürgerbeteiligung, eine »liquide Demokratie« wolle man schaffen. Wie? Marina Weisband, die politische Geschäftsführerin, erklärt es in Kurzform: Mit »Software-Lösungen« und einem »Liquid-Feedback-System« wolle man »Meinungsbilder in der Partei einholen«. Die Computer-Accounts der Parteimitglieder müssten miteinander verbunden werden. »Teilweise gibt es aber unter den Mitgliedern noch Probleme mit der Benutzeroberfläche.« Wenn?s mit der Benutzeroberfläche klappt, dann klappt?s auch mit der Demokratie. Außerdem gebe es ja auch Telefonkonferenzen, ergänzt der Parteivorsitzende. Als er gefragt wird, ob die Piraten eine Meinung zur Finanzkrise haben, verweist er auf die »Basisdemokratie« in der Partei, es gebe viele Einzelstimmen: »Ich werde mich nicht öffentlich zum Euro-Rettungsschirm äußern.« Klare Aussagen sind wenige zu hören. Gerne aber wird geprahlt: »Wir nehmen an, dass wir im nächsten Jahr von 30 000 auf 130 000 Mitglieder anwachsen«, sagt Nerz. Als Zuhörer kommt man sich ein wenig vor wie im Kindergarten: Meine Partei ist größer als deine. Manchmal aber kommt es nicht auf die Größe an, sondern auf den Inhalt.

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