Scheitern eines Landvermessers

»Das Schloss« nach Franz Kafka – in einer Bühnenfassung am Maxim Gorki Theater Berlin

  • Christoph Funke
  • Lesedauer: 3 Min.

Ein paar Leute haben sich versammelt. In einem öden, nur mit dem Nötigsten versehenen Raum. Tisch hinten, Tisch vorn, Stühle. Sie wollen etwas vorspielen. Wer aber darf anfangen, wie findet man in die Geschichte hinein? Streit bricht aus, und auch, wenn immer wieder »Franz Kafka, das Schloss« angesagt wird, das Vorlesen, das Spielen kommt eine ganze Weile nicht vom Fleck.

Dann aber ist es, als verschöbe sich das trist Wirkliche im unwirtlichen Saal. Eine andere Wirklichkeit senkt sich über die sperrige Atmosphäre des Beginns, mit spiegelnden Glaswänden, geheimnisvollen Lichtern, bedrohlicher Düsterkeit (Bühne Magda Willi). Es gibt keinen Ort mehr. Nur noch Sehnsucht und Traum, Suchen und Irren. Fünf Männer, zwei Frauen sind auf dem Weg, durch Wirtshaus und Schulstube, durch fades Vergnügen und unfassbare Angst. Schnee rieselt, in einer primitiven Tonne lodern Scheite, die Kälte bleibt, kein Ziel rückt näher, jeder Gang emdet im Nirgendwo.

»Das Schloss« also, letzter Roman Franz Kafkas, 1922 entstanden, 1927 von Max Brod an die Öffentlichkeit gebracht, nun auf der Bühne der Kammerspiele des Deutschen Theaters (in Koproduktion mit der Ruhrtriennale). Die Bearbeiter Nurkan Erpulat und Jens Hillje kümmert das Gebirge der Auslegungen nicht, sie schicken zwei Frauen und fünf Männer los, um eine seltsame Geschichte zu erzählen. Die Geschichte einer kleinen Revolution, die sich im Schnee verliert. Die Geschichte des Landvermessers K., der das Gegebene, Unverrückbare aufbrechen will, dann aber von Müdigkeit überwältigt wird. Und die Geschichte einer Dorfgemeinschaft, die nur bis zu stumpfer Neugier über das zu Ändernde vorstößt, um wieder im Gewohnten zu verharren.

Erpulat und Hillje widerstehen der Versuchung, einen festen Kern aus dem mäandernden, fast vierhundert Seiten umfassenden, Fragment gebliebenen Roman herauszuarbeiten. Sie wollen ihn nicht bühnenfähig machen durch Vereinfachung oder gar durch Verweise auf heutige Migrationsprobleme. Was auf der Bühne geschieht, saugt Dunkelheit an, verliert sich in immer neuen Geheimnissen - jeder der wie zufällig hergestellten, gleichsam »fließenden« Räume vor und hinter den magischen Glaswänden atmet Verlorenheit. Nurkan Erpulat, der Regisseur, macht menschliches Dasein im Nichtwissen, in der demütigenden Hingabe ans scheinbar Unveränderliche zum Ereignis. Er lässt den aufklärerischen Versuch des Landvermessers K., dieses Nichtwissen aufzubrechen, an sich selbst scheitern. Der Fremde, der Außenseiter, kann weder das Dorf erlösen noch ins Schloss gelangen. K. passt sich an, gibt den Streit mit der vollendet organisierten Obrigkeit auf.

Es ist dieser Zweig der Schloss-Geschichte, der am überzeugendsten auf die Bühne kommt. Moritz Grove stattet den Landvermesser, der vielleicht gar keiner ist, mit einem vorsichtigen Trotz und diffuser Verletzlichkeit aus, gibt der Figur Momente der Widersetzlichkeit, und lässt sie dann in sich zusammenfallen. Erpulat baut reiche Beziehungen dieses in sich gekehrten Einzelgängers zu der Dorfgesellschaft auf - da ist Neugier, hündische Ergebenheit, erschrockene Abwehr, clowneske Provokation. Die Wirtin der Katharina Matz, die Frieda der Sesede Terziyan sind dabei die Konstanten im durch viele Rollen gehenden Männer-Ensemble, mit verzweifelt behauptetem Selbstbewusstsein (Matz) und einem Versuch zu Mut und Herzlichkeit (Terziyan) zeigen sie Möglichkeiten an, die es im Dorf am Fuße des Schlosses vielleicht einmal gab.

Die Aufführung ist eine Denkaufgabe, sie hat bewegende, fesselnde Szenen, und ermüdet dann doch. Erpulat trifft keine Entscheidung über die Gewichtung der Gegensätze von Schloss und Dorf. Durch lange, tiefe Summtöne, Klagegesänge und die geisterhaften Auftritte eines Kinderchores baut er noch mehr Rätsel in das Bühnengeschehen ein. Die singenden Kinder verstärken das Unwirkliche, Flirrende, Nebelhafte einer künstlichen, fremden Welt, die da ausgebreitet wird - und doch, wenn man sich ihr stellen will, so fremd nun wieder nicht ist.

Nächste Vorstellung: 22. Oktober

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