Die Obsession

»Die Haut, in der ich wohne« von Pedro Almodóvar

  • Gunnar Decker
  • Lesedauer: 4 Min.

Zwei Ereignisse prägen bis heute das Leben von Pedro Almodóvar: seine Klosterschulzeit und die Franco-Diktatur. Das anhaltende Trauma Freiheitsberaubung. Wie kann ich eine - tatsächlich oder scheinbar - verlorene Identität zurückgewinnen? Diese Szenerie spielt er in seinen Filmen immer wieder durch - von »Alles über meine Mutter« (1999) bis zu »Schlechte Erziehung« (2004). Dem homosexuellen Jungen war die katholische Kirche ein Ort der Pein; zu ihm war Gott nie gütig, sondern immer nur strafend. Die Frage des Kindes, welche Sünden er begangen haben könnte, ist in der Frage des Regisseurs aufgehoben, welche Sünden andere an ihm begangen haben. Was tun Menschen warum anderen an?

Almodóvar, geboren 1949, führte in Spanien lange eine Existenz, die an die Kafkas erinnert. Er arbeitete als unscheinbarer Angestellter bei »Telefonica«. Erst nach dem Ende Francos brach all das bislang Unterdrückte aus ihm heraus - er begann auf eine ungewöhnlich obsessive Weise Filme zu drehen, zu denen er selbst die Bücher schrieb. Es waren Filme, die mit ihrer extremen Subjektivität, ihrer Exaltiertheit und Lust an der sexuellen Provokation den Nerv des neuen Spaniens trafen - mit »Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs« (1988) und »Fessle mich« (1990) gelang der internationale Erfolg. Wie verletzlich ist die Haut des Menschen, wie unsicher doch das, was ihm als seine Identität erscheint!

Mancher etwa wird für einen Mann gehalten und ist doch in Wahrheit eine Frau. Das ist zum beherrschenden Thema seiner Filme geworden: Transsexualität. Kein Film von Almodóvar mehr ohne das Thema Geschlechtsumwandlung. Was den Regisseur fasziniert, das hat sein Publikum erst verstört, mittlerweile trägt es zu einer unfreiwilligen Komik dessen bei, was zuallererst tragisch gemeint ist. Man kann es nicht leugnen: Almodóvars Filme wirken wie Edel-Trash.

So auch »Die Haut, in der ich wohne«. Welch eine Bildsprache! Welch ein untrüglicher Sinn für überraschende Szenenwechsel! Noch das kleinste Detail trägt hier zur Gesamtwirkung bei. Ja, Almodóvars Geschichten sind ganz aus der Kameraperspektive erzählt, mit geradezu genialer Stilsicherheit. Und dann der Absturz: der Inhalt, der an »Frankenstein« erinnert, aber nicht halb so amüsant ist. Ein Schönheitschirurg (Typ Latin Lover: Antonio Banderas) arbeitet an der Entwicklung einer künstlichen Haut. Seiner Frau, die bei einem Autounfall schwere Verbrennungen erlitt, hätte sie das Leben retten können. Aber sie ist tot, wie auch seine Tochter, die sich nach einer Vergewaltigung das Leben nahm. Nun vermischt sich sein Forscherehrgeiz mit dem Willen zur Rache.

Wir sehen eine Gefangene Vera (Elena Anaya) im ländlich luxuriösen Anwesen des zweifellos verrückten Forschers, der an ihr jene von ihm entwickelte Haut testet. Aber - hier springt dann das Thema Transsexualität auf! - Vera, die er nach dem Bilde seiner toten Frau modelliert, ist jemand ganz Bestimmtes, den er durch Identitätsraub strafen will. Der weitere Verlauf: blutig und von einer dramaturgischen Überzeugungskraft, die jeder RTL 2-Produktion nicht nachsteht.

Und doch verbergen sich in dieser Splatterfilm-Finale Fragen, die durchaus ernst gemeint sind, schon allein deshalb, weil Almodóvar ihretwegen immer wieder Filme dreht, die höchstes handwerkliches Niveau mit plattester Obsession kurzschließen. Was ist das: eine Haut? Grenze oder Brücke der Innen- zur Außenwelt? Wie weit kann man einen Menschen verändern - durch gewaltsame Eingriffe, die bis zum Auswechseln seines Gesichts und seines Geschlechts gehen - und wie viel bleibt von seinem früheren Ich dennoch auf dem Sprung?

Letztlich also spielt Almodóvar auch in »Die Haut, in der ich wohne« wieder das Thema Diktatur und Gewalt auf der elementarsten Ebene des Menschseins durch: seiner Haut. Es bleibt ein Kern von Identität, der lässt sich, selbst wenn er nun dem Äußeren nach ein anderer Mensch zu sein scheint, nicht ändern. Alle Autonomie ist wehrhaft, aber die Diktaturerfahrung zeigt, dass man dazu sich lange anpassen und verbergen muss. Und dann ist man doch wieder der, der man von Anfang an war. So zumindest Almodóvars Behauptung. Dieser Film sitzt folglich in der Falle zwischen starken Bildern und einem fatal schwachen Buch - für beides ist Almodóvar verantwortlich. Die Absicht scheint klar, der Film nimmt ein Stichwort von Elias Canetti auf, der in »Der Feind des Todes« schrieb: »Ununterbrochen streift der Tiger wachsam hinter den Gitterstäben seines Käfigs hin und her, um nur nicht den kurzen, flüchtigen Moment einer Chance auf Erlösung zu verpassen.« So ist auch dieses quasi-philosophische Rache-Epos wiederum ein Zeugnis des unauflöslichen Zugleich von filmischem Genie und infantiler sexueller Obsession bei Almodóvar geworden. Aus seiner Haut kommt er, so scheint es, nicht heraus.

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