Zypern grollt mit seinem Präsidenten

Dimitris Christófias ist isoliert, die Wiedervereinigung des Inselstaates gefährdet

  • Christiane Sternberg, Nikosia
  • Lesedauer: 4 Min.
Zyperns Präsident Dimitris Christófias und der Präsident der nicht anerkannten Türkischen Republik Nordzypern, Dervis Eroglu, werden UN-Generalsekretär Ban Ki Moon an diesem Wochenende über den Fortgang der Verhandlungen in Sachen Wiedervereinigung der Insel berichten. Fortschritte können sie allerdings nicht vermelden.

Die innenpolitische Krise in Zypern begann mit einem gewaltigen Knall. Bei der Explosion am 11. Juli detonierten in der Marinebasis Mari 98 Container mit Sprengstoff und beschädigten nicht nur das wichtigste Kraftwerk im Süden der Insel, sondern auch das Vertrauen der griechischen Zyprer in ihren Präsidenten. So reist Dimitris Christófias am Wochenende ohne Rückendeckung von Bevölkerung und Oppositionsparteien nach New York, um über Zyperns Zukunft zu beraten. Gemeinsam mit dem türkisch-zyprischen Verhandlungsführer soll er UNO-Generalsekretär Ban Ki Moon über den Fortgang der Gespräche zur Wiedervereinigung des seit 1974 geteilten Landes berichten. Zu Hause ertönt derweil die Forderung nach seinem Rücktritt.

Die folgenschwere Explosion im Juli, bei der 13 Menschen ums Leben kamen, entpuppte sich als Ergebnis politischen Lavierens. Die Munition war 2009 auf dem Frachter »Monchegorsk« beschlagnahmt worden, der die Ladung von Iran nach Syrien transportieren sollte. Seither schob die zyprische Regierung die Entscheidung über den Verbleib des explosiven Materials hinaus. Zwei Jahre lagerten die Container ungeschützt unter Zyperns heißer Sonne - in unmittelbarer Nachbarschaft des 793-Megawatt-Kraftwerks »Vassilikos«, das mehr als die Hälfte der Energie in der Republik Zypern erzeugte und bei der Explosion so stark beschädigt wurde, dass die komplette Wiederinbetriebnahme voraussichtlich ein Jahr dauern wird. Die Schäden für die Volkswirtschaft sind enorm.

Nach der Katastrophe wechselte der Präsident das gesamte Kabinett aus und setzte einen Untersuchungsausschuss ein. Der kam nach Auswertung öffentlicher Anhörungen und Tausender Seiten Beweismaterial zu dem Schluss, dass Dimitris Christófias als Staats- und Regierungschef die Hauptverantwortung an dem Desaster trägt. Er soll über alle Gefahren informiert gewesen sein.

Doch der Beschuldigte zieht das Ergebnis der Untersuchungen in Zweifel. Diese Haltung werten die griechischen Zyprer als Affront. Politisch und moralisch hält nur noch seine AKEL (Fortschrittspartei des Werktätigen Volkes) zu ihm. Alle anderen Parteien fordern seinen Rücktritt. Dem Ruf schließt sich eine Bürgerbewegung um die Angehörigen der 13 Todesopfer an, die ein öffentliches Schuldeingeständnis des Präsidenten verlangt. Die AKEL stellt sich vor ihren ehemaligen Generalsekretär und bezeichnet die Rücktrittsforderungen der Opposition als Versuch eines Staatsstreichs.

In dieser heiklen innenpolitischen Situation tritt Dimitris Christófias am Sonntag zur wichtigen Schlussphase der Zypernverhandlungen an. UNO-Generalsekretär Ban Ki Moon erwartet konstruktive Lösungsansätze für alle noch strittigen Fragen. Einschneidende Kompromisse sind nötig, wollen sich die Wortführer der Zyperngriechen und der Zyperntürken über die Machtteilung in einer künftigen Vereinten Republik Zypern oder über die Rückgabe von Flüchtlingsland einigen. Der Chefdiplomat der Vereinten Nationen will den Verhandlungsprozess beschleunigen und bald auch Griechenland und die Türkei mit an den Tisch holen, um den internationalen Aspekt des Zypernproblems anzugehen.

Ziel ist es, noch vor der EU-Ratspräsidentschaft der Republik Zypern im zweiten Halbjahr 2012 zu einem Ergebnis zu gelangen. Über den Plan für die zyprische Wiedervereinigung entscheidet das Volk dann in einem Referendum. Aber um die griechisch-zyprische Bevölkerung von der Notwendigkeit unpopulärer Zugeständnisse an die türkisch-zyprischen Partner zu überzeugen, braucht der Präsident das Vertrauen der Bürger und die Rückendeckung aller Parteien. Die derzeit geschwächte Position von Dimitris Christófias birgt dagegen die Gefahr, dass die von ihm ausgehandelten Kompromisse beim Volksentscheid mit einem »Nein« quittiert werden, um den Wahlschein zu einem Denkzettel für den Präsidenten zu machen.


37 Jahre getrennt

1974: Nach einem Putsch der zyprischen Nationalgarde gegen Staatspräsident Makários landeten am 20. Juli türkische Invasionstruppen an der Küste Zyperns und besetzten den Nordteil der Insel, der sich 1983 zur Türkischen Republik Nordzypern (TRNZ) erklärte. Die TRNZ ist nur von der Türkei anerkannt. Die (Rest-)Republik Zypern ist seit 2004 EU-Mitglied, seit 2008 auch Euro-Land.

Pläne zur Umwandlung Zyperns in einen Bundesstaat nach Schweizer Vorbild scheiterten 2002 am Widerstand der türkischen Seite. Ein neuer UN-Plan zur Lösung des Zypernproblems wurde am 24. April 2004 bei einer Volksabstimmung von den Zyperntürken zwar mehrheitlich befürwortet, von den Zyperngriechen jedoch abgelehnt.

Hoffnung auf eine Annäherung weckte die Wahl von Dimitris Christófias zum Präsidenten der Republik Zypern 2008. Mit Mehmet Ali Talat, damals Führer Zyperntürken, vereinbarte er die symbolträchtige Öffnung des Grenzübergangs an der Ledrastraße in Nikosia am 3. April 2008. Am 1. Juli 2008 einigte man sich auf Grundsätze einer Wiedervereinigung (gemeinsamer souveräner Staat, einheitliche Staatsbürgerschaft), es folgten zahlreiche Verhandlungsrunden.

Einen Rückschlag brachten die Parlamentswahlen in Nordzypern im April 2009: Die nationalistische Nationale Einheitspartei (UBP) errang die absolute Mehrheit. Ein Jahr später setzte sich UBP-Kandidat Dervis Eroglu auch bei den Präsidentschaftswahlen gegen Ali Talat durch. Derweil wurde Christófias im Süden wiederholt vorgeworfen, er mache den Türken zu große Zugeständnisse. nd

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