Gifttour durch den Norden

7700 Lkw-Ladungen Asbestmüll sollen auf eine umstrittene Deponie gekarrt werden

  • Dieter Hanisch, Kiel
  • Lesedauer: 4 Min.
Vor der geplanten Einlagerung von Giftschlamm aus Niedersachsen in Deponien zwischen Lübeck und Schwerin wächst der Protest in der Bevölkerung - auch entlang der vorgesehenen Transportstrecke.

Die vorgesehene Fracht ist hochgiftig, das brisante Thema fordert nun Entscheidungen von Politik und Justiz: Knapp 170 000 Tonnen Asbestschlamm sollen per Lkw von einer Halde im niedersächsischen Wunstorf-Luthe auf die Sondermülldeponien ins schleswig-holsteinische Rondeshagen sowie auf die Kippe nach Ihlenberg (Mecklenburg-Vorpommen) befördert werden. Insbesondere an den Zielorten wächst seit Wochen der Widerstand.

Umweltschutzverbände und Mitglieder der Bürgerinitiative gegen die Mülldeponie Ihlenberg (vormals Schönberg) sind am Freitag vor die Schweriner Staatskanzlei gezogen, um den größten deutschen Sondermülltransport aller Zeiten (bis zu 7700 Lkw-Ladungen) noch zu stoppen. In Lübeck soll am heutigen Samstag ab 11.55 Uhr (»fünf vor zwölf«) in der Fußgängerzone (Breite Straße) gegen die geplanten Asbest-Transporte demonstriert werden.

Die Aktion sollte eigentlich nächste Woche beginnen und würde dann zehn Monate lang andauern. Eine Anwohnerin von Selmsdorf, die gerade mal einen Kilometer Luftlinie von der größten Sondermüllkippe Europas wohnt, hat Strafanzeige gegen die Betreiber gestellt, weil sie Gesundheitsgefährdungen von den Asbestablagerungen befürchtet. Auch Naturschützer überlegen, mit einer Eilklage die Gifttour noch zu verhindern.

Erhöhte Krebsgefahr

Die Ihlenberg-Kritiker, die auch im nahen Lübeck sitzen, weisen seit Jahrzehnten auf die im Untergrund schlummernden toxischen Unwägbarkeiten aller Art hin, weil es für die 1979 errichtete Deponie nie ein unter Umweltmaßstäben betrachtetes Genehmigungsverfahren mit den eigentlich üblichen strengen gesetzlichen Standards gegeben hat. Eine mehrjährige epidemiologische Untersuchungsreihe der Universität Greifswald hat 2008 eine um 80 Prozent erhöhte Krebsgefahr für die dort Beschäftigten festgestellt. Der nun zum Transport vorgesehene Asbest stammt aus den ehemaligen Fulgurit-Werken von Wunstorf, die von 1912 bis 1990 mit diesem Material arbeiteten. Dann kam das nationale Asbestverbot von 1993 und das EU-Verbot von 2005. Die angesammelten Asbestzementschlämme und -scherben sollen seit Jahren vom Gelände bei Hannover verschwinden, das ja kein offizielles Müllareal darstellt. Vielmehr soll die Fläche für die Erweiterung eines Logistikzentrums einer Spedition genutzt werden. Eine Einlagerung in der Deponie Lahe bei Isernhagen scheiterte 2009 aus juristischen Gründen.

Anschließend hatte man sich die Deponie Deetz in Brandenburg für die Entsorgung ausgewählt. Als vom Landesumweltamt Brandenburg ein Planfeststellungsverfahren gefordert wurde, wollte man in Wunstorf nichts mehr von Deetz wissen. Schließlich wurden Ihlenberg und Rondeshagen ins Auge gefasst. Nach ersten Protesten schickten die Gewerbeaufsicht in Hildesheim und der TÜV drei Testtransporte auf den Weg, um mittels Messungen eventuell austretende Asbestfasern zu erfassen. Ihlenberg-Geschäftsführer Berend Krüger sieht keinerlei Gefahren. Seitens des Wirtschaftsministeriums spricht man mit Blick auf die landeseigene Deponie von einem »wirtschaftlich wichtigen« Geschäft.

Eine Frage des Preises

Doch auch der Transport selbst ist ein Problem: Der inzwischen verstorbene Umweltgutachter Wolfhelm Bitter warnte, dass bei der vorgesehenen Transportform ohne luftdicht verschlossene Big Bags und mit lediglich einer Abdeckplane auf den Lkw in jedem Fall Krebs erzeugende Asbestfasern freigesetzt würden. Auf einer Veranstaltung in Selmsdorf Anfang der Woche unterstrich der Kieler Toxikologe Hermann Kruse, dass entsprechend frei gewordene Asbestfasern Tumore auslösen können.

Vor zweieinhalb Jahren war der Asbest-Deal der Deponie Ihlenberg bereits einmal angeboten worden. Seinerzeit lehnte man dort aus Sicherheitsgründen das Geschäft ab. Jetzt soll die giftige Fracht dem Vernehmen nach für 20 Euro pro Tonne quasi zum Schleuderpreis in Ihlenberg angeliefert werden. Geschäftsführer Krüger streitet dies ab, will keinen anderen Preis nennen.

Die geplante Gifttour wird insgesamt rund neun Millionen Euro verschlingen. Knapp die Hälfte der Kosten wird von der EU übernommen - aber nur, wenn noch dieses Jahr die Sanierung beginnt.

In der Region Hannover haben die Grünen genau wie CDU und SPD dem Gifttransfer zugestimmt, die FDP enthielt sich. Lediglich die LINKE ist dagegen, sie fordert eine Betonummantelung für die Halde in Wunstorf.

Nächste Woche beschäftigt sich der Umweltausschuss im Kieler Landtag mit dem Thema, eine Woche später debattiert der Landtag in Schwerin darüber. Ihlenberg-Chef Krüger hat unterdessen angekündigt, die Selmsdorfer und Schönberger Bürger über den Asbest-Transport zu informieren - allerdings erst in zwei Wochen. Bürgerbeteiligung hatte man auch in der Vergangenheit auf der Deponie, von Tagen der offenen Tür einmal abgesehen, noch nie wirklich praktiziert.

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