Der Weg ins Nazi-Reich

Handbuch zur Entwicklung in Mecklenburg

  • Lesedauer: 3 Min.
Bei den Wahlen in Mecklenburg-Vorpommern im September 2011 erreichte die NPD sechs Prozent und zog erneut in den Landtag ein. In den Kreistagen sitzen 23 NPD-Abgeordnete. Ein jetzt erschienenes Buch erinnert daran, dass in Mecklenburg einst die NSDAP bereits im Sommer 1932 die Landesregierung stellte - sie hatte im Landtag die absolute Mehrheit erreicht. Dr. MICHAEL BUDDRUS vom Institut für Zeitgeschichte München-Berlin und SIGRID FRITZLAR vom Landeshauptarchiv Schwerin untersuchen in ihrem Buch »Die Städte Mecklenburgs im Dritten Reich« erstmals den Prozess der Nazifizierung in allen Städten des damaligen Mecklenburg. Mit den Autoren sprach ELVIRA GROSSERT.

nd: Herr Dr. Buddrus, Frau Fritzlar: Warum greifen Sie das Thema Nationalsozialismus jetzt auf?
Wir haben den Eindruck, dass die Erforschung der Geschichte Mecklenburgs im Dritten Reich seit 1989/90 vielfach vernachlässigt worden ist und an den Hochschulen des Landes kaum noch stattfindet. Es gibt zwar eine Reihe von Geschichtsvereinen, Regionalhistorikern und Heimatforschern, die wichtige Spezialstudien vorgelegt haben, aber sie arbeiten isoliert, oft auf unzureichender Quellenbasis, werden kaum unterstützt und gelegentlich behindert.

Was veranlasste Sie, über die Entwicklung des Nationalsozialismus gerade in den mecklenburgischen Städten zu forschen?
Wir wollten wissen, was in den mecklenburgischen Städten zwischen 1932 und 1945 passierte. Unsere Analyse setzt deshalb 1932 an, weil das Land Mecklenburg eine Besonderheit aufweist. Bereits 201 Tage vor Hitlers Machtübernahme im Reich hielt am 13. Juli 1932 in Mecklenburg der Nationalsozialismus Einzug. Die NSDAP stellte die Alleinregierung. Damit war Mecklenburg nach dem Freistaat Oldenburg das zweite Land im Deutschen Reich, in dem die NS-Partei die absolute Mehrheit errang. Schon bei den Wahlen zu den Stadtverordnetenversammlungen in Mecklenburg-Schwerin im Herbst 1930 wurde die NSDAP zur drittstärksten Kraft in den Kommunalparlamenten.

Landläufig wird davon ausgegangen, dass Mecklenburg ein Agrarland war. Sie behaupten: Mecklenburg war ein Land der Städte?
Wir haben festgestellt, dass die Aussage, Mecklenburg sei ein Agrarland gewesen, nicht stimmt. Mecklenburg war im Dritten Reich ein Land der Städte. In der Kriegszeit lebten fast zwei Drittel der mecklenburgischen Bevölkerung in den 60 Städten des Landes. Nur etwa 21 Prozent der Erwerbstätigen arbeiteten in der Landwirtschaft, diese erwirtschaftete nur 15 Prozent des Bruttoinlandsprodukts.

Sie schreiben, dass bereits vor der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten in Mecklenburg-(Schwerin) fünf Bürgermeister der NSDAP ins Amt gewählt worden waren. Wer war der erste NS-Bürgermeister?
Der erste mecklenburgische NSDAP-Bürgermeister wurde im September 1931 in Wittenburg (Nordwestmecklenburg) gewählt. Es war Dr. Ernst-Erich Peymann, ein in der Stadt ansässiger Tierarzt.

Es gab in Mecklenburg ein Konzentrationslager und KZ-Außenlager. Haben Sie Verbindungen von den kommunalpolitisch Verantwortlichen zu diesen Lagern gefunden?
Nein, das war auch nicht unser Anliegen. Aber es gibt Zufallsfunde, zum Beispiel den Brief eines mecklenburgischen Bürgermeisters an das Konzentrationslager Sachsenhausen. Er schreibt sinngemäß: Wir haben hier einen querulatorischen Kommunisten. Wir können ihm nicht direkt etwas vorwerfen, aber er stänkert und stört. Können wir den bei Ihnen unterbringen und was kostet das? Die Antwort der Lagerverwaltung lautete: Sie können ihn gerne herbringen. Die Kosten betragen 1,50 RM pro Tag. An dieser Stelle bricht der Schriftwechsel ab.

Ist es zu kurz gefasst, zu sagen, die Bürgermeister waren NS-Täter?
Ja, jedes Pauschalurteil ist wenig erkenntnisträchtig, Verantwortung ist immer individuell. Ab dem Jahr 1937 gab es in Mecklenburg keinen Bürgermeister mehr, der nicht in der NSDAP war, und wenn man Mitglied einer solchen Partei ist, trägt man natürlich auch Verantwortung für das von dieser Partei Veranlasste. In unseren Stadtbeschreibungen, zum Beispiel für Waren, kann man nachlesen: 1933 lebten 27 Juden in der Stadt, nach der Auflösung der jüdischen Gemeinde 1937 noch acht Juden. Nach Deportationen nach Minsk und ins Konzentrationslager Auschwitz gab es 1942 in Waren keinen Juden mehr.

Michael Buddrus, Sigrid Fritzlar: Die Städte Mecklenburgs im Dritten Reich. Ein Handbuch zur Stadtentwicklung im Nationalsozialismus, ergänzt durch ein biographisches Lexikon der Bürgermeister, Stadträte und Ratsherren. Hrsg. von der Stiftung Mecklenburg und dem Institut für Zeitgeschichte München-Berlin, Edition Temmen Bremen 2011, ISBN 978-3-8378-4029-2. 34 Euro.

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