»Döner-Morde« und »Bratwurst-Nazi«

MEDIENgedanken: Rechter Terror und Sprachgebrauch

  • Robert Meyer
  • Lesedauer: 4 Min.

Kennen Sie die »Weißwurst-Morde« aus den 90er Jahren? Damals wurden acht deutschstämmige und ein österreichischer Kleinunternehmer in der Türkei eiskalt durch den Gebrauch einer gestohlenen Schusswaffe aus Polizeibesitz regelrecht hingerichtet. Zwei der neun Opfer betrieben in der Türkei einen Biergarten nach deutscher Tradition. Als Mörder stellten sich Jahre später drei ultrarechte türkische Nationalisten heraus. Als die deutsche Presse Wind von der Geschichte bekam, titelte diese: »Weißwurst-Morde endlich aufgeklärt!«

Falls Ihnen diese Geschichte ein wenig merkwürdig vorkommen sollte und Sie bisher noch nichts von den »Weißwurst-Mördern« gehört haben, seien sie an dieser Stelle beruhigt, denn es hat die besagten Taten niemals gegeben. Hätte es sie, dann wäre die bundesdeutsche Presse mit Sicherheit niemals auf die Idee gekommen, die Opfer nach einer aus Bayern stammenden kulinarischen Spezialität zu benennen. Immerhin wäre es schließlich um Blutsdeutsche im wahrsten Sinne des Wortes und nicht um irgendwelche Zugewanderten gegangen. Doch was bei Opfern der eigenen Volkszugehörigkeit verpönt wäre, ist den meisten Medien bei etwas anderer Konstellation der Dinge nur recht und billig, um Schlagzeile und damit Auflage machen zu können. Egal ob die altehrwürdige »Frankfurter Allgemeine Zeitung« oder Springers Sturmgazette »Bild«, in der überwiegenden Mehrheit der deutschen Tageszeitungen müssen wir seit einigen Tagen von den so genannten »Döner-Morden« lesen.

Dabei könnte das konstruierte Sprachbild kaum latent rassistischer angelegt sein. Acht der bisher neun bestätigten Opfer des mutmaßlich neonazistischen Terrortrios stammten aus der Türkei. Das heißt, eigentlich stammten einige von ihnen nicht einmal aus einem anderen Land, denn sie wurden in Deutschland geboren. So stammte Opfer Nummer neun Halit Yozgat aus Kassel, wurde dort nicht nur geboren und ging da zur Schule sondern betrieb sogar ein Internetcafé. Mit Döner-Läden hatten überhaupt nur zwei Opfer etwas zu tun. Doch solche Feinheiten wie Nationalität und Beruf spielen in der Berichterstattung keine Rolle, wenn das Äußere der Toten eben nicht in den allgemein verbreiteten Typus Deutschländer passt. Türke gleich Döner? Da hätte die Mordserie auch gleich dem griechisch-stämmigen Opfer Theodoros Boulgarides entsprechend, als Souvlaki-Tod bezeichnet werden können.

Zumindest wäre diese Betitelung nicht wesentlich weiter von der Wahrheit entfernt als das, was der Chefredakteur des Bayrischen Fernsehens, Sigmund Gottlieb, in den ARD Tagesthemen zum Besten gab. Absolut ahnungslos sprach er von «Mitmenschen aus der Türkei und aus Griechenland und auch einer deutschen Polizistin.« Es sei die Frage erlaubt, ab der wievielten Generation ein Mensch in der deutschen Medienlandschaft auch in Deutschland als Deutscher akzeptiert wird. Hobbygenetiker Sarrazin und seine Thesen lassen grüßen! Auch die Polizei beteiligt sich am Sprachrassismus: So nannte man die zeitweise ermittelnde Sonderkommission »Bosporus«, also jener Meerenge, welche Europa und Kleinasien voneinander trennt.

Trennend wirkt auch derartiges Vokabular, welches die kleinste Spur von sprachlicher Sensibilität vermissen lässt. Deshalb ist auch vollkommen richtig, wenn sich Kenan Kolat, Bundesvorsitzender der Türkischen Gemeinde in Deutschland, über eine ausbleibende Anteilnahme mit den Hinterbliebenen der Getöteten beschwert. Doch was will man erwarten, wenn die Opfer nicht einmal bei Namen genannt werden und stattdessen durch einen Fleischspieß personifiziert, somit entmenschlicht und letztlich ihrer Würde beraubt werden? Der bisherige Umgang mit den Toten ist genauso oberflächlich begründet wie die Motive der mutmaßlichen Täter aus der Neonaziszene. Wer die Namen der Opfer nennt, müsste sich in einem zweiten Schritt mit deren Leben auseinandersetzen. Dann würden solche Rassismen allerdings nicht mehr funktionieren, denn der Inhaber einer Änderungsschneiderei, Abdurrahim Özüdoğru, passt eben nicht in das viel zu häufig transportierte Bild vom niemals in Deutschland angekommenen Migranten.

Neu ist die Methode der Verwendung von Rassismen zur Steigerung der Aufmerksamkeit durch Hervorhebung der vermeintlichen »Andersartigkeit« übrigens nicht. Als die Mordserie vor mehr als zehn Jahren ihren Anfang nahm, aber keine eindeutige Spur zu den Tätern führte, verspekulierte sich die deutsche Qualitätspresse in der Suche nach Antworten und verstieg sich in solche Wortkonstrukte wie der »Halbmond-Mafia«. Gemeint war damit ein möglicher Täterkreis, der in den Reihen der vornehmlich durch Türken organisierten Kriminalität. Dieser irrsinnigen Logik folgend hätte man bei aller Konsequenz bleiben müssen und die mutmaßlichen deutschen Täter heute durch rassistische Wortspiele brandmarken müssen. Doch »Bratwurst-Nazi« oder »Sauerkraut-Terroristen« sind Verunglimpfungen, welcher sich eine anständige deutsche Presse niemals bedienen würde.

Der Autor ist freier Journalist und lebt in Chemnitz.

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