Bundestag zeigt sich beschämt

Union deutet Zustimmung zu neuem NPD-Verbotsverfahren an

  • Aert van Riel
  • Lesedauer: 4 Min.
Die Bundesregierung steht wegen ihrer Tatenlosigkeit und Verharmlosung gegenüber der neonazistischen Gewalt unter Druck. Als Reaktion darauf soll nun die geplante Kürzung von Geldern für zivilgesellschaftliche Projekte gegen Rechts zurückgenommen werden.
Zeichnung: Christiane Pfohlmann
Zeichnung: Christiane Pfohlmann

Ein ungewöhnliches Bild bot sich gestern im Bundestag. Entgegen der Gepflogenheit der Union, jegliche Zusammenarbeit mit der LINKEN zu verweigern, einigten sich alle Fraktionen auf einen gemeinsamen Entschließungsantrag zur Mordserie der Thüringer Neonazis. »Wir sind zutiefst beschämt«, heißt es darin, »dass nach den ungeheuren Verbrechen des nationalsozialistischen Regimes rechtsextremistische Ideologie in unserem Land eine blutige Spur unvorstellbarer Mordtaten hervorbringt.« Der Bundestag betont das Mitgefühl mit den Angehörigen der Opfer und kündigt eine zügige Aufklärung der Morde und eine Überprüfung der Strukturen der Sicherheitsbehörden an. Außerdem soll die Regierung prüfen, ob sich Konsequenzen für ein NPD-Verbot ergeben. Offenbar gibt es Verknüpfungen zwischen dem »Thüringer Heimatschutz«, aus dem die rechten Terroristen stammen, und der NPD.

Zu Beginn der Sitzung gedachten die Parlamentarier der Opfer. Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) verlas hierbei eine gemeinsame Erklärung der Fraktionen. An diesem Punkt endeten jedoch die Gemeinsamkeiten von Opposition und Koalition. Die Bundesregierung wurde bei der Debatte im Plenum von SPD, Grünen und Linkspartei heftig attackiert. Die Kritik richtete sich auch gegen Familienministerin Kristina Schröder (CDU). Grünen-Fraktionschefin Renate Künast forderte, dass das Familienministerium bei der Förderung von zivilgesellschaftlichen Programmen gegen Rechts auf die sogenannte Extremismusklausel verzichten solle, wonach die Träger zustimmen müssen, dass ihre Partner auf Verfassungstreue überprüft werden. Schröder war schon in der Vergangenheit vorgeworfen worden, dadurch Initiativen gegen Rechts unter Generalverdacht zu stellen. »Die Extremismusklausel ist eine Anfeindung«, erklärte Künast. CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe bekräftigte dagegen, dass seine Partei an der Klausel festhalten werde. Immerhin wird die Union wohl auf die geplanten Kürzungen von zwei Millionen Euro bei den Programmen verzichten. Dies hatte Fraktionschef Volker Kauder (CDU) bei einem Treffen der Partei- und Fraktionsvorsitzenden zugesagt.

Auch bei einer anderen Frage gibt es Anzeichen für ein Entgegenkommen von Union und FDP. Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) deutete seine Zustimmung für ein erneutes Verbotsverfahren gegen die rechtsextreme NPD an. »Die NPD ist verfassungsfeindlich«, resümierte Friedrich. Ein Verbot werde zwar den geistigen Sumpf der Partei nicht trockenlegen, aber verhindern, dass sie weiterhin Steuergelder erhält. Ein NPD-Verbotsverfahren war im Jahr 2003 aufgrund der in der Partei aktiven V-Leute des Verfassungsschutzes gescheitert. Für ein erfolgreiches Verfahren müssen diese wohl »abgeschaltet« werden. Auf die V-Leute will der Innenminister jedoch offenbar nicht verzichten. Er bezeichnete sie als »ein wichtiges Frühwarnsystem«. Hierbei könnte er allerdings in Konflikt mit Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger geraten. Die FDP-Politikerin erklärte, ein Verbotsverfahren könne nur eingeleitet werden, wenn es Aussicht auf Erfolg habe.

Ein Verfechter des NPD-Verbots ist Linksfraktionschef Gregor Gysi. Für ihn sind die V-Leute ein Teil des Problems. »Sie wurden mit Geld gelockt, erhalten Steuermittel und decken die Naziszene«, monierte Gysi. Als Konsequenz müssten die V-Leute »abgeschaltet« werden. Zudem kritisierte er den Umgang der Regierung mit dem Rechtsextremismus. Statt gegen Neonazis werde häufig gegen deren Gegner vorgegangen. Gysi verwies auf den sächsischen LINKE-Politiker André Hahn, dessen Immunität aufgehoben wurde, und auf die Razzia bei dem Jenaer Jugendpfarrer Lothar König. Beide hatten an den Protesten gegen den Neonaziaufmarsch im Februar in Dresden teilgenommen. Auch ein Blick auf die Statistik macht deutlich, dass von offizieller Seite das Problem des Rechtsextremismus bisher falsch eingeschätzt wurde. Nach Untersuchungen der Amadeu-Antonio-Stiftung sind 182 Menschen in Deutschland seit 1990 der rechten Gewalt zum Opfer gefallen. Trotz eindeutiger Belege für einen rechtsextremen Hintergrund in diesen Fällen gehen offizielle Statistiken von 47 Todesopfern bis 2009 aus.

Ähnliche Kritik war aus den Reihen der SPD zu hören. Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier forderte ein Verbot der NPD, auch weil es Netzwerke zwischen gewaltbereiten Neonazis und der Partei gebe. Steinmeier warf der Regierung - ungeachtet der Tatsache, dass er bis vor zwei Jahren als Vizekanzler in der Großen Koalition hierfür mitverantwortlich war - Verharmlosung der rechtsextremen Gewalt vor und attestierte dem Staat ein Versagen beim Umgang mit diesem Problem. Nachdem SPD-Innenpolitiker wie Dieter Wiefelspütz und Ehrhart Körting in den vergangenen Monaten immer wieder gefordert hatten, neben der rechtsextremen Gewalt auch den sogenannten Linksextremismus genauer ins Visier zu nehmen, erklärte Steinmeier nun, Gefahren von Rechts und Links seien unterschiedlich zu bewerten. »Es gibt keine linksextremen Schlägertrupps, die ganze Regionen tyrannisieren«, sagte der SPD-Abgeordnete.

Aus den Fraktionen von CDU/CSU und FDP wurde dies mit wütenden Zwischenrufen quittiert. Beleidigt reagierte FDP-Generalsekretär Christian Lindner. Er warf der SPD vor, ins »parteipolitische Klein-Klein« zu verfallen.

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