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»Machen Sie die Herzen weich!«

Henry Burkhardt und die Mormonen in der DDR

  • Sabine Neubert
  • Lesedauer: 3 Min.

Als im Juni 1985 durch die Presse bekannt wurde, dass in Freiberg in Sachsen ein Tempel der Mormonen gebaut und geweiht worden war, galt das als eine Sensation. Nicht nur die Mitglieder der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage, besser bekannt als Mormonen, kamen geströmt, auch einige tausend Neugierige wollten sich dieses nach US-amerikanischen Plänen realisierte Bauwerk ansehen. Der Tempel war einmalig in Osteuropa. Dass und wie er möglich wurde, war vor allem das Verdienst des Mannes, dem dieses schön gestaltete Buch gewidmet ist: Henry Burkhardt.

Der 1930 in Chemnitz als Sohn eines Eisenbahners Geborene war seit 1969 »Präsident der Dresdner Mission«, später nach dem Tempelbau »Präsident des Freiberger Tempels« sowie »Präsident« und damit höchster Repräsentant für die Religionsgemeinschaft der Mormonen in der DDR – die meiste Zeit in enger Verbindung zur Weltzentrale in Salt Lake City.

Wie Burkhardt als Kirchenleiter und als christlicher Staatsbürger agierte, steht im Mittelpunkt dieser biografischen Studie, in der, wie Autor Raymond Kuehne schreibt, auch »verschiedene, zuweilen direkt gegensätzliche Perspektiven« enthalten sind. Dass sich in Burkhardts Lebenslauf nicht nur die Geschichte der Mormonen in der DDR spiegelt, sondern auch Kirchenpolitik, macht diesen besonders interessant.

Doch bleiben wir noch beim Tempel. Natürlich spielten bei der Genehmigung für einen solchen verschiedene Interessen hinein. Die Regierung der DDR strebte danach, Verbindungen ins »feindliche« kapitalistische Ausland unter Kontrolle zu halten und besser noch: selbst steuern zu können. Eine nicht unwesentliche Rolle spielte die chronische Devisenknappheit der DDR. Immerhin verhandelte David Kennedy, einflussreicher US-Bankier und zuvor gar Finanzminister, persönlich als »Sonderbotschafter« mit dem Außenministerium der DDR zwecks Bau eines Mormonen-Tempels. Für die Zentrale in Utah und ihre (auch politischen) Verbindungen war Freiberg als osteuropäisches Zentrum interessant.

1972, dem Jahr, als sich eine Verbesserung im Verhältnis des Staates DDR zu seinen Mormonen abzeichnete, reiste Burkhardt erstmals (später jährlich) in die USA. »Prophet« Edward Kimbali habe ihm auf einer Generalkonferenz gesagt, er solle ein gutes Verhältnis zu seiner Regierung schaffen. »Machen Sie die Herzen weich!« Dieser Weisung ist Burkhardt gefolgt, seine Aktivitäten seitdem waren gekennzeichnet von Loyalität staatlichen Stellen gegenüber. Regelmäßig gab es Gespräche auf allen Ebenen, Glückwunschadressen und Loyalitätsbekundungen. Nun geschahen »Wunder über Wunder«, so Burkhardt.

Es gab aber auch kritische Stimmen. Einmal wird Burkhardt in den Stasi-Berichten ein »Fanatiker« genannt. Das Buch zeichnet ein anderes Bild von ihm. Er ist wohl ein einfaches und geradliniges Gemüt gewesen. Der Autor stützt sich auf Berichte, Erinnerungen und Tagebuchaufzeichnungen, auch auf Mikrofilme in Salt Lake City. Dass er in Bezug auf die Mormonen von Kirche und nicht Sekte spricht, entspringt seiner Überzeugung.

Raymond Kuehne: Henry Burkhardt. Ein Leben für die Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage in der DDR. Leipziger Universitätsverlag. 249 S., geb., 29,90 €

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