Dichtung und Wahrheit

FAKTENcheck: Wie frei sind die Medien in Syrien?

  • Karin Leukefeld, Damaskus
  • Lesedauer: 3 Min.

Wenn dieser Tage in den deutschen Medien über die Lage in Syrien berichtet wird, heißt es oft, man könne den Wahrheitsgehalt der Informationen und Bilder nicht überprüfen, da die syrische Regierung keine ausländischen Berichterstatter zulasse. Das entspricht ebenso wenig der Wahrheit wie so manche Meldung, die dieser Tage über die Lage in dem arabischen Land verbreitet wird.

Ein Bekannter in Damaskus, nennen wir ihn Herrn X., erhielt vor wenigen Tagen einen Anruf aus Malaysia. Ein Freund wollte wissen, ob es ihm gut gehe. Die Medien berichteten von Bombenexplosionen in Damaskus, just dort, wo sich das Büro von Herrn X. befindet. »Was redest Du«, meinte Herr X. zu seinem Freund aus Malaysia. »Ich sitze hier an meinem Schreibtisch und alles ist ruhig.« Wenige Tag später, am 20. November, soll die »Freie Syrische Armee« ein Gebäude der Baath Partei in Damaskus mit Panzerfäusten angegriffen haben. Das berichteten, unter Berufung auf die Nachrichtenagentur Reuters, übereinstimmend in englisch und arabisch, BBC und Al Dschasira. Ein namentlich nicht genannter Augenzeuge habe den Beschuss selber mit erlebt, so Reuters. Ein Blick vor Ort auf das Gebäude der Baath Partei zeigte keine Beschädigungen. Sowohl die BBC als auch Al Dschasira nahmen die Meldung aus ihren Schlagzeilen. Die Nachrichtenagentur Reuters ließ den Text von ihrer Webseite verschwinden, der »Augenzeugenbericht« war offenbar falsch.

Es dauerte nur wenige Stunden, den angeblichen Angriff als unwahr zu entlarven. Da aber war die Medienwalze schon angerollt. »Der Granatenangriff« im Herzen der syrischen Hauptstadt war bereits Grundlage für Analysen und Kommentare darüber, wie es mit der Baath Partei in Syrien bestellt sein könnte und dass das Land möglicherweise kurz vor einem Bürgerkrieg steht.

Agenturen und Leitmedien liefern mittlerweile der Wahrheit letzten Schluss. Redakteure, die unter Arbeits- und Zeitdruck stehen, machen sich nicht die Mühe oder haben keine Zeit, Bekannte oder Korrespondenten vor Ort zu befragen. Es ist eine Falschmeldung, dass es ausländische Journalisten in Syrien nicht gibt. Ganz zu schweigen von syrischen und arabischen Kollegen, die wie Sisyphos den Wahrheitsgehalt der täglichen »Meldungen« überprüfen, die von Oppositionsgruppen nahestehenden PR-Agenturen und Medieninstituten schreibgerecht weltweit ausgeliefert werden.

Die Tante eines Bekannten in Lattakia ist Britin und mit einem Syrer verheiratet. Mehrmals hörte sie im Sommer - u.a. in der BBC - die syrische Marine bombardiere Lattakia. Das aber war nicht wahr. Sie rief den Sender an und sagte, Lattakia werde nicht beschossen. Doch die »Meldung« wurde wiederholt. Drei Mal, vier Mal rief sie an, bis sie von BBC gefragt wurde, wie viel das Assad-Regime ihr bezahle, um »Falschmeldungen« zu verbreiten.

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