Statistische Verbesserungen

Föderalismus hemmt Bildungsreformen

  • Dieter Hanisch
  • Lesedauer: 3 Min.

Der Bildungsforscher Jürgen Baumert wird bundesweit als Koryphäe angesehen, wenn es um die Beurteilung schulischer Entwicklungsleistungen geht. Die Untersuchungen, allen voran die PISA-Studie, und Analysen des Vizepräsidenten der Max Planck-Gesellschaft haben Gewicht. Gerne füttert er die Bildungspolitik mit seinen Schlussfolgerungen. Doch der Bildungstanker Bundesrepublik wird von 16 verschiedenen Kapitänen gesteuert, die unterschiedliche Parteibücher haben und unterschiedlichen Regierungen vorstehen. Klarheit und Kontinuität wären nach Baumerts Philosophie umso dringlicher, und auch die Mehrheit der Eltern, Schüler und Lehrer artikulieren sich derzeit derart und nennen ihren Wunschzustand »Schulfrieden«.

Vor Kurzem weilte Baumert auf Einladung des schleswig-holsteinischen Bildungsministers Ekkehard Klug (FDP) in Kiel und schilderte seine Sicht auf die Reaktionen, Folgen und Veränderungen zum ersten PISA-Vergleich. Baumerts Fazit: Bei den seinerzeit aufgezeigten Schwächen und Defiziten ist gegengesteuert worden, kontinuierlich haben sich auch die Ergebnisse verbessert.

Besonders in Baumerts Fokus stehen Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund. Die Beherrschung der deutschen Sprache stellt ihm zufolge den Schlüssel für den Bildungsweg und den späteren beruflichen Einstieg dar, wobei auch immer mehr muttersprachlich deutsche Kinder abgehängt werden. Konsequenz daraus kann nur eine größere Aufmerksamkeit bereits in der frühkindlichen Bildung sein. Bemerkenswert noch die Baumert-Aussage, dass kleinere Klassen sich für die Lerneffizienz nur in den ersten drei Grundschuljahren auszahlen. Klassenverkleinerungen seien demnach oft die populärsten Maßnahmen, erweisen sich aber auch als die teuersten. Es lohne sich dagegen vielmehr, in die Fachdidaktik der Lehrkräfte zu investieren, heißt es aus Expertenmund.

»Was folgt aus den Ergebnissen?« - lautete das Veranstaltungsmotto mit Blick auf PISA und die daraus gezogenen und zu ziehenden Lehren. Natürlich ist Schleswig-Holstein diesbezüglich keine Oase. Doch der seit Langem so gescholtene Minister Klug verkündete nicht zuletzt vor dem Hintergrund der anstehenden Landtagswahl im Mai 2012 statistische Besserung. »In den vergangenen fünf Jahren ist die Quote der Jugendlichen ohne Abschluss von fast zehn auf sieben Prozent gesunken«, sagte Klug. Dazu sei auch zahlenmäßig die Qualität der Abschlüsse gestiegen, nämlich auf 48 Prozent Absolventen mit Hochschul- und Fachhochschulreife.

In der sich anschließenden Diskussion korrigierte der Schulleiter des Gymnasiums Brunsbüttel, Hans-Walter Thee, das so skizzierte Leistungsloblied. Erreichen zwar landesweit 28 Prozent die allgemeine Hochschulreife, so schwanken nach Thees Angaben die Zahlen doch stark nach Regionen zwischen 15 und 40 Prozent. Es gibt also durchaus zurückgebliebene Problemregionen im Schwarz-Gelb regierten Schleswig-Holstein. Vor allem kann es aber beim Blick auf die Naturwissenschaften kein Fortschritt sein, wenn Klug eingestand, dass sich seit 2008 die Teilnehmerzahlen aus dem Norden am renommierten Wettbewerb »Jugend forscht« halbiert haben, was der Minister übrigens ursächlich auf die Einführung des Turbo-Abis schiebt.

Zumindest eine Erkenntnis räumte Klug auch ein, nämlich dass man als Land den gesamten Bildungsbereich alleine stemmen, mithin finanzieren könne, und das auch noch als ein besonders klammes Bundesland, sei nicht der Weisheit letzter Schluss. Er plädierte dafür, das bestehende föderale Kooperationsverbot zwar nicht in Gänze, aber zumindest punktuell noch einmal zu überdenken.

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