Das Leben der Unteren

Die »Super Nanny« und der Attentäter

  • Jürgen Amendt
  • Lesedauer: 3 Min.

Katharina Saalfrank ist ausgestiegen. Über sieben Jahre lang war sie als Erziehungsexpertin bei RTL als »Super Nanny« unterwegs. Erst jetzt will sie erkannt haben, dass die Geschichten oft inszeniert gewesen seien, der Schutz der Kinder nicht im Vordergrund gestanden habe und erzieherische Inhalte »massiv in den Hintergrund gedrängt wurden«. Letzten Endes ist Katharina Saalfrank damit bei den von ihr öffentlich Betreuten angekommen. Diese mussten sich die vergangenen Jahre einem einfachen, aber erfolgreichen Sendeschema unterordnen: Die Ausgegrenzten werden zu Unterhaltungszwecken vorgeführt. Das Publikum, viele davon selbst aus der lower class, erkennt den Spiegel nicht, der ihm vorgehalten wird. Das ist letztlich das Geheimnis der guten Quoten solcher Sendungen - das und die Tatsache, dass auch die Mittelschicht gerne einschaltete, wenn die gelernte Sozialpädagogin Saalfrank überforderten Eltern mit Erziehungstipps half. Den von Abstiegsängsten Geplagten befriedigte sie die voyeuristische Lust am elendigen Leben der Unteren. Damit ist jetzt Schluss. Wäre man so naiv anzunehmen, dass dies zum Vorbild für andere in dieser TV-Branche wird, könnte man dies als zivilisatorischen Fortschritt gutheißen. Doch allein das beständige Bemühen (wie im Falle der »Super Nanny«), das Böse mittels Erziehung zu bannen, ist als Erfolg zu werten.

Das Gegenteil des beständigen Bemühens wäre das Eingeständnis des Scheiterns und damit die Kapitulation vor der Barbarei. Das gilt es zu verhindern - und ist der Preis dafür auch noch so hoch! Anders Behring Breivik, der Attentäter, der in Norwegen mehr als 70 Menschen tötete, wird möglicherweise nie ins Gefängnis müssen. Zwei Rechtsgutachter haben ihn für »schuldunfähig« erklärt, weil er an schizophrenen Wahnvorstellungen leidet. Folgt das Gericht dieser Einschätzung, kann Breivik nicht zu einer Haftstrafe verurteilt werden, sondern muss in der geschlossenen Psychiatrie untergebracht werden.

Die Angehörigen der Opfer müssen das Ausbleiben der Strafe als zutiefst ungerecht empfinden; unbefriedigt bleibt auch das Bedürfnis der Gesellschaft nach einem - zumindest symbolischen - Akt der Rache. Die archaische Reaktion auf die Mordtat ist die Ermordung des Täters durch Hinrichtung. Die zivilisierte Antwort ist die Gefängnisstrafe. Mörder sollen hinter Gitter, denn damit sind sie ähnlich den nach Gerichtsverfahren Hingerichteten für ewig ausgeschlossen aus unserer Mitte. Doch was ist eine angemessene Gefängnisstrafe für jemanden wie Anders Breivik? 20 Jahre, 25 Jahre?

Selbst der lebenslange Wegschluss erspart uns nicht eine Antwort auf die Frage, wie aus einem unschuldigen Kind ein schuldiger Erwachsener werden kann. Breivik wuchs in einer Familie auf, wie wir sie aus Saalfranks Sendungen kennen. Als er vier Jahre alt war, empfahl ein Psychologe, den Jungen so schnell wie möglich aus der Familie herauszunehmen, um seelischen Schaden vom Kind abzuwenden.

Die Widerlegung der Forderung nach Abschaffung solcher Sendungen wie »Die Super Nanny« ist der zynische Gedanke, dass ein mordender Anders Breivik möglicherweise durch jemanden wie die »Super Nanny« hätte verhindert werden können.

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