Nicht in allen Punkten links

Die Piraten erweiterten am Wochenende ihr Parteiprogramm - auch um einige wirtschaftsliberale Positionen

  • Hans-Gerd Öfinger
  • Lesedauer: 3 Min.
Nach ihrem Erfolg bei der Berliner Abgeordnetenhauswahl will sich die Piratenpartei als bundesweite parlamentarische Kraft etablieren. Um dabei den Geruch einer programmlosen Ein-Punkt-Partei loszuwerden, positionierte sich der Bundesparteitag in Offenbach zu etlichen Fragen vom europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) bis Hartz IV.

Die Beratung über ein 864 Seiten dickes elektronisches Antragsbuch verlangte den vor ihren Laptop-Computern sitzenden Mitgliedern viel Disziplin ab. Weil die Partei kein Delegiertensystem kennt, hat jedes Mitglied bei Bundesparteitagen Rede- und Stimmrecht. Über 1300 von derzeit etwa 18 600 Mitgliedern hatten sich in der bis auf den letzten Platz gefüllten Offenbacher Stadthalle versammelt. Um möglichst viele von ihnen zu Wort kommen zu lassen, wurde die Redezeit rasch auf eine Minute reduziert.

Nach längerer leidenschaftlicher Debatte beschloss der Kongress die Aufnahme der Forderung nach einem »Bedingungslosen Grundeinkommen« (BGE) für alle Bürger ohne Bedürftigkeitsprüfung und Zwang zu Arbeit in das Wahlprogramm. Eine Enquete-Kommission solle bestehende Grundeinkommens-Modelle bewerten und die konkrete Ausarbeitung in Angriff nehmen, so der Beschluss. Noch vor dem Ende der Legislaturperiode solle dann eine Volksabstimmung über ein BGE-Gesetz ermöglicht werden. Bis zur Einführung des Grundeinkommens sei ein bundesweiter gesetzlicher Mindestlohn nötig.

Weitere Kernpunkte des Wahlprogramms sind »Sofortmaßnahmen zur Humanisierung des SGB II«, darunter auch die Forderung nach Abschaffung der Sanktionen bei Hartz IV.

Aufnahme in das Grundsatzprogramm fand auch die Forderung nach einer »weltanschaulichen Neutralität des Staates« und der Freigabe des Konsums von bislang illegalen Drogen. Auch einen Antrag, der den europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) wegen der demokratischen Defizite kritisiert, nahm der Parteitag mit der notwendigen Zwei-Drittel-Mehrheit an.

Während die Partei medial eher als »links« wahrgenommen wurde, setzten sich in anderen Fragen konservative und wirtschaftsliberale Standpunkte durch. So blieb ein moderater Antrag zur Begrenzung von Managergehältern auf das 100fache des niedrigsten Vollgehalts chancenlos. »Wir sind eine freiheitliche Partei. Wenn sich ein Unternehmen und ein Manager einig sind, dass er viel verdienen soll, ist das OK«, gab ein Redner zu bedenken. Man müsse »nur dafür sorgen, dass Aktionäre selber bestimmen, was ein Manager verdient«, lautete ein weiterer Einwand. Auch die Forderung nach Abschaffung der Zwangsmitgliedschaft von Unternehmern und Selbstständigen in Kammern und Verbänden wie der Industrie- und Handelskammer (IHK) nahm der Kongress nach kontroverser Debatte mit Zwei-Drittel-Mehrheit an. Davon ausgenommen sind lediglich Rechtsanwalts-, Notar- und Ärztekammern, weil sie für die »Sicherstellung der Versorgung der Öffentlichkeit mit berufsspezifischen Dienstleistungen« wichtig seien.

»Die Piratenpartei ist jetzt in der Realpolitik angekommen und sie schlägt sich gut«, freute sich der Bundesvorsitzende Sebastian Nerz. Mittlerweile werde er »selbst aus den Reihen der FDP darauf angesprochen, dass wir die neue liberale Hoffnung in Deutschland sind«, so Nerz, der seine Parteifreunde zur Geschlossenheit aufrief: »Über Twitter oder Facebook kann man einen Streit nicht beilegen, man kann ihn nur eskalieren.«


Das war der Parteitag

Mehr als 1300 Mitglieder waren beim Parteitag registriert. Jedes Mitglied konnte rein theoretisch auch zum Parteitag nach Offenbach am Main reisen und sich mit Anträgen und Änderungsvorschlägen einbringen. Zudem konnten sie über interne elektronische Foren an der Meinungsbildung teilhaben. Kein Wunder, dass dafür insgesamt fünf Kilometer an Netzwerkkabeln verlegt werden mussten. Es gab rund 400 verschiedene Anträge. Die meisten davon mussten aus Zeitmangel vertagt werden. Etwa die ungewöhnlichen Vorstöße zum »Grundrecht auf öffentliche Nacktheit« oder die »Abschaffung von Sommer- und Winterzeit«. Im Bundestrend liegen die Piraten derzeit bei rund sechs Prozent.
nd/dpa

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