Heiße Debatte um eine missglückte Sendung

ZDF stellte sich in Jena einer Diskussion über einseitige Berichterstattung

  • Jenny Becker, Jena
  • Lesedauer: 3 Min.
Die ZDF-Sendung »Aspekte« hatte Jena zur ostdeutschen Angstzone erklärt. Bei einem Podiumsgespräch stellte sich ihr Chef der geballten Empörung der Jenaer.

»Was wir im Kampf gegen Rechts erreicht haben, ist beachtlich«, sagt Oberbürgermeister Albrecht Schröter gleich zu Beginn. Von draußen dringen Jubelrufe in den Saal, drinnen wird applaudiert. Das Jenaer Theaterhaus ist am Montagabend mit 170 Zuschauern voll besetzt, auf dem Theatervorplatz drängen sich trotz Schneeregens nochmal so viele Menschen vor der Leinwand, die das Geschehen in den kalten Abend überträgt. Die ZDF-Sendung »Aspekte« hatte die thüringische Universitätsstadt, aus der das Nazi-Mördertrio stammte, zur »ostdeutschen Angstzone« erklärt. Für viele eine Stigmatisierung, die mit der Realität wenig zu tun hat. In kürzester Zeit wurden 4500 Unterschriften gesammelt, um eine Entschuldigung des ZDF zu erwirken. »Aspekte«-Chef Christhard Läpple erklärte sich darauf zum öffentlichen Gespräch bereit.

Auf der Bühne im Jenaer Theaterhaus versucht man schnell von der puren Empörung wegzukommen. Zunächst entschuldigt sich Christhard Läpple dafür, den »Veränderungswillen Jenas in Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus« nicht gewürdigt zu haben. Es sei nicht die Absicht gewesen, »die in Jena sehr starke Zivilgesellschaft anzugreifen«. Er verteidigt das Vorgehen der Redaktion damit, dass nach Bekanntwerden der Mordserie viele Deutsche mit ausländischem Aussehen über ihre Ängste berichteten. Man habe der Frage nachgehen wollen, wie man zusammenlebe.

Das sei reichlich missglückt, kommt der Einwand vom Podium und später, als die Diskussion für das Publikum geöffnet wird, aus den Reihen. Der Beitrag verbreite noch mehr Angst und fördere die Ost-West-Mauer in den Köpfen. Er tue das Problem als ein ostdeutsches ab. »Warum haben Sie keine Migranten aus Jena befragt?«, kritisiert Marco Guerzoni vom Integrationsbeirat. »Die Mehrheit von ihnen hat keine Angst hier zu leben.« Professor Klaus Dörre, Soziologe an der Jenaer Universität, weist darauf hin, dass die rechte Szene im Osten »besonders militant und gewalttätig« sei. Doch er zeigt sich stolz auf Jenas Aktionen gegen Nazis. »Von Jena geht Ermutigung aus«, sagt auch Albrecht Schröter (SPD), dem der »Preis für Zivilcourage gegen Rechtsradikalismus und Rassismus« verliehen wurde - einen Tag vor der »Aspekte«-Sendung.

Die Vertreter der Initiativen gegen Rechts stimmen zu. Christoph Ellinghaus vom Aktionsnetzwerk und Katharina König, Aktivistin und Landtagsabgeordnete der LINKEN, erzählen, dass sie in den 90er Jahren fast allein dastanden mit ihrem Widerstand gegen Nazis, seit einigen Jahren sei das anders. Die Stadt fördere die jugendlichen Gegenkulturen, eine breite Bürgerschaft beteilige sich an Blockaden. König findet es trotzdem unmöglich, dass am Freitag 50 000 Menschen zum kostenlosen Konzert gegen Rechts gingen, sich am nächsten Tag aber nur 60 Demonstranten im benachbarten Gera einem Naziaufmarsch entgegen stellten.

In einem sind sich die meisten einig: Womit man sich befassen muss, ist der Alltagsrassismus, den es in ganz Deutschland gibt. Eine Rolle spiele dabei der Staat mit seiner Asylpolitik, aber auch sein Verhältnis zur rechten Szene. Professor Dörre und Oberbürgermeister Schröter sprechen sich schließlich für die Schaffung einer Professur aus, die nicht nur die rechte Szene wissenschaftlich untersucht, sondern auch deren Gegenbewegung - und so die Erfolge, aber auch die Lücken im Kampf gegen Rechts sichtbar macht.

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