Beim Arbeitsamt glühen die Drähte

Höhe der Förderung für BMW-Werk noch unklar/Schwerin brütet auf neuen Investoren-Eiern

  • Michaela von der Heydt
  • Lesedauer: 4 Min.
Leipzig feierte euphorisch die BMW-Entscheidung, das neue Werk im Raum Leipzig/Halle zu errichten. Im Rathaus der Stadt gab es gar Freibier. Schon gestern ließen hunderte Stellenbewerber im Arbeitsamt die Drähte glühen.
Etwa 70000 Menschen sind derzeit beim Arbeitsamt der sächsischen Metropole als arbeitslos registriert - eine Quote von über 18Prozent. Von 120000 Industriearbeitsplätzen 1990 sind heute noch 12000 vorhanden, so der IHK-Geschäftsführer Lothar Meier. Damit habe die Stadt innerhalb Sachsens die größte Deindustrialisierung hinnehmen müssen. Da verwundert der Ansturm auf die erhofften 5500 Arbeitsplätze in der geplanten BMW-Autofabrik am Rande der Stadt nicht. Weitere 5000 Jobs sollen im Bereich der Zulieferindustrie entstehen. Und damit diese Nachfrage an qualifizierten, BMW-bedarfsgerechten Kräften bis zum Produktionsstart 2004 auch gedeckt werden kann, wird die Stadt in den kommenden Wochen eine eigene Qualifizierungsgesellschaft gründen. Die IHK arbeitet zusammen mit dem Freistaat Sachsen am »Projekt AMZ 2005«. Mit dessen Hilfe sollen sächsische Fahrzeugzulieferer für die neue Aufgabe fit gemacht werden. Schließlich will Sachsen einen größtmöglichen Anteil des Geschäfts im Lande behalten. BMW selbst betont bislang eher den Standort-Vorteil, vom Raum Leipzig/ Halle aus »die vorwiegend im süddeutschen Raum vorhandene Zulieferstruktur« nutzen zu können. Die zügige Mobilisierung von rund 10000 Arbeitskräften und deren Flexibilität sei neben der geographischen Nähe zum bayerischen Werkeverbund der Motorenwerke ein ausschlaggebender Faktor gewesen, erläutert Hans Christoph von Rohr von der BMW beratenden Wirtschafsberatung IIC. Dennoch habe Schwerin eine erstklassige Präsentation abgeliefert. Ob allerdings die Distanz zu München wirklich die einzige unüberbrückbare Schwachstelle in der Bewerbung der Stadt aus Mecklenburg-Vorpommern war, darüber wollte BMW-Sprecherin Christine Krepold keine Auskunft geben. Die Bewerber seien vom Vorstandsvorsitzenden Joachim Milberg über die Gründe informiert worden. Klar ist indessen, dass Ostdeutschland mit seinen Fördermöglichkeiten einen besonderen Joker in der Gruppe der verbliebenen fünf Bewerber besaß. Subventionen von bis zu 700 Millionen Mark winken dem Autokonzern in Sachsen. Allerdings hätte auch Mecklenburg-Vorpommern die gleichen Konditionen geboten, versicherte gestern eine Sprecherin des Wirtschaftsministeriums. Das entspricht bei Investitionen von knapp zwei Milliarden Mark dem Höchstsatz von 35Prozent des Gesamtvolumens. Die Förderung müssten sich Bund und Freistaat teilen. Hierunter fallen aber neben finanziellen Beihilfen auch andere »geldwerte Vorteile« wie beispielsweise Grundstückspreise unter Marktwert. Wie günstig BMW dort »seine« 200 Hektar in Sichtweite der Leipziger Messe mit hervorragender Anbindung zu Bahn, Flughafen und Autobahn erstehen wird, ist noch unklar. »Wir werden noch verhandeln«, verlautete es von BMW gestern. Dem vom Land Sachsen beantragten - bislang nicht veröffentlichten - Fördermaß muss allerdings die EU-Kommission zustimmen. Die akzeptiere eher Werte um 28Prozent des Investitionsvolumens, sagte Leipzigs Wirtschaftsdezernent Detlef Schubert. Und dass die EU-Kommission genau hinsieht, zeigt beispielsweise die um knapp 26 Millionen Mark geringere Regionalförderung für die gläserne VW-Fabrik in Dresden in Höhe von nun 145 Millionen Mark. Um BMW das Bett zu ebnen, wird Leipzig nun außerdem schnellstmöglich mit rund einer Milliarde Mark das 500Hektar große Industriegebiet erschließen, wozu auch der zügige Bau der Autobahn A 38 gehört. Doch die Rechnung muss sich lohnen. Denn mittelfristig erwartet die Stadt jährliche Gewerbesteuer-Einnahmen von 40Millionen Mark. Allerdings weiß auch Wirtschaftsdezernent Schubert um die vielfältigen jahrelangen Abschreibungsmöglichkeiten für den bayerischen Konzern. Nicht in Geld zu messen für Leipzig wird aber wohl der werbewirksame Imagegewinn sein. Um das Prestigeobjekt in die Metropole zu holen, haben sich auch die Gewerkschaften auf ein extrem flexibles Arbeitszeitmodell eingelassen. Vereinbart wurde auf der Grundlage des Flächentarifvertrags eine Bandlaufzeit zwischen 60und 140Wochenstunden, damit das Werk je nach Bedarf produzieren kann. In Regensburg, dem jüngsten der übrigen BMW-Werke, waren es genau 99. Dementsprechend hoch wird die Flexibilität der Arbeitnehmer gefordert. Auf den individuellen Arbeitszeitkonten können sie bis zu 200 Stunden - sowohl im Plus als auch im Minus - ansammeln, die dann über mehrere Jahre abgebaut werden können. In extremen Produktionszeiten kann dies die gesetzliche Höchstarbeitszeit von zehn Stunden an sieben Tagen in der Woche bedeuten, erklärte Sprecherin Krepold. Die tarifliche Bezahlung der 38Wochenstunden bleibe davon aber unberührt. In Mecklenburg-Vorpommern versucht man, die Enttäuschung über die Absage zu überwinden. Es gebe Gespräche mit mehreren Investoren, heißt es. Schließlich wäre - auch mit BMW - das Gelände Göhrener Tannen nicht ausgelastet gewesen. In die Karten lässt sich Schwerin nicht schauen. Namen bleiben vorerst Tabu.
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