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PLATTENBAU

  • Franz X.A. Zipperer
  • Lesedauer: 3 Min.

Herbert Grönemeyer kennt sich aus im Pop. Nach mehr als 13 Millionen verkaufter Platten. Vermutlich hat er nie vergessen, dass er zu Beginn seiner Karriere vier Alben komplett in den Sand setzte. Ob diese Erfahrung mit dazu führte, dass er 1999 sein eigenes kleines, feines Label Grönland gründete, ist nicht verbürgt. Fakt ist aber, dass er seinen Künstlern viel Zeit für kreative Entwicklung lässt. Nicht flutartig veröffentlicht er, sondern zeitlich wohldosiert. So können die Platten seines Labels Wirkung entfalten. Große Öffentlichkeit verschafft Grönemeyer seinen Künstlern dann auch schon mal dadurch, dass er sie ins eigenes Vorprogramm packt. So geschehen etwa mit Susanne Sundfør im Berliner Olympiastadion.

Der Labelblick von Grönland richtet sich einmal auf junge, für die Zukunft viel versprechende Künstlerinnen und Künstler wie etwa BOY, William Fitzsimmons, Philipp Poisel, Gang Of Four oder Susanne Sundfør. Andererseits wird vorwiegend die deutsche Rockgeschichte nach Preziosen durchforstet, wie beispielsweise Neu! oder Hans Joachim Roedelius.

Aktuell sorgen zwei Grönland-Veröffentlichungen für Furore: das Duo BOY mit seinem Debüt »Mutual Friends« und William Fitzsimmons mit seiner Platte »Gold In The Shadow.« Das folkig angehauchte BOY-Pop-Album setzt Glanzpunkte mit warmen, häufig nur akustischen Arrangements, klarem, unaufdringlichem Gesang und fluffigen Rhythmen. Voller süßer Entspanntheit und Gelassenheit singen Valeska Steiner aus Zürich und Sonja Glass aus Hamburg Lieder über die sonnige Seite des Lebens. So gar nicht eckig, kantig oder sperrig, aber mit wunderbaren Harmonien. Nur ab und zu ziehen etwas angegraute Klangwolken der Melancholie auf. Dann wird klar, dass es ein Fehler wäre, BOY ganz in die Akkustikgitarrenecke zu stellen. Zu stark sind die Schlagzeugspuren, die der Drummer der französischen Popband Phoenix hinterlässt.

Und doch, gegen die massiv sonnendurchfluteten Töne bleibt die Düsternis letztlich chancenlos. Dieser Klangkosmos wird kein musikhistorisches Erdbeben auslösen oder die derzeit sich in einem Wellental ausruhende Musikszene wieder hoch auf den Wellenkamm führen. Aber die Klänge sind so wunderbar zeitlos, weil sich BOY konsequent weigern, sich einer aktuellen Mode anzudienen.

William Fitzsimmons gehört zu der Fraktion der neuen Langbartträger und hat sich mit seiner Platte »Gold in the Shadow« selbst eine musikalische Kur verschrieben. Selbst Psychotherapeut, geht er hin, nimmt sich das »Diagnostische und Statistische Handbuch Psychischer Störungen«, ein Klassifikationssystem der American Psychiatric Association vor, und vertont es. Und greift damit massiv an. Sich und seine Krankheiten. Er schwelgt dabei mit Hingabe in Pianokaskaden, badet den Text in elektronischen Spielereien und suhlt sich in minimalistisch-folkigem Saitengezupfe, vertraut auf diesem Hintergrund der Kraft seiner stets zurückgenommenen Stimme. Und die wirkt.

Da William Fitzsimmons dabei neben dem Leid auch den Glanz des Lebens auskundschaftet, treiben auch Zuversicht und Zukunftsglaube bunte Blüten. So entwickelt sich ein klanglicher Gesamtkontext der Gesundung. Der von Körper, Geist und Seele. Dass Musik einen positiven Beitrag zur Genesung zu leisten vermag, ist eine Erkenntnis, die bereits aus der Antike stammt. Platon schreibt darüber. Hippokrates ebenso. Und nun gibt es mit William Fitzsimmons einen Vordenker der Moderne.

BOY: Mutual Friends; William Fitzsimmons: Gold in the Shadow (beide Grönland)

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