Brasiliens schmutzige Liste
In so vielen Betrieben wie nie zuvor arbeiten die Menschen unter sklavenartigen Verhältnissen
»Nie zuvor hatten wir so viele irregulär Beschäftige wie gegenwärtig.« Die Umschreibung von Alexandre Rodrigo Teixeira vom brasilianischen Arbeitsministerium klingt zunächst nach den normalen informellen Arbeitsverhältnissen in Südamerika. Doch Teixeiras Aussage bezieht sich auf die »schmutzige Liste«, die seit 2005 zweimal jährlich vom Arbeitsministerium veröffentlicht wird.
Mitarbeiter des Arbeitsministeriums machen seitdem regelmäßig Stichproben in Betrieben sowohl in den Städten als auch auf dem Land. Sie sind auf der Suche nach menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen.
Land- und Bauwirtschaft besonders betroffen
Wer nicht den Mindeststandard an hygienischen Bedingungen am Arbeitsplatz und den oftmals zugewiesenen Behausungen erfüllt und zudem weniger als den aktuellen gesetzlichen Mindestlohn von 622 Reais bezahlt, umgerechnet etwa 260 Euro, wird auf diese Liste gesetzt.
Hier finden sich Arbeitgeber aus den unterschiedlichsten Branchen. Waren es in den Anfangsjahren der Auflistung vor allem landwirtschaftliche Betriebe aus dem Zuckerrohranbau, stehen heute auch zunehmend die Namen großer Baufirmen aus den Städten darauf. Die meisten Namen stammen noch immer aus den Bundesstaaten Pará und Mato Grosso. Nach Angaben des Arbeitsministeriums wurden auf diese Weise seit 2005 rund 30 000 Menschen aus sklavenähnlichen Arbeitsbedingungen befreit, davon allein über 2000 Personen bei rund 160 Einsätzen in 230 Betrieben im vergangenen Jahr.
Noch vor wenigen Tagen hatte die brasilianische Regierung verkündet, die Wirtschaft des Landes habe Großbritannien vom sechsten Platz der Weltrangliste verdrängt und werde bis 2015 auf den fünften Platz klettern. Die sozialen Verhältnisse zeigen jedoch die Kehrseite des seit Jahren anhaltenden Wirtschaftswachstums.
Pakt gegen Sklavenarbeit geschlossen
Die Kluft zwischen Arm und Reich ist in Brasilien weiter tief. Noch immer haben die reichsten zehn Prozent der Brasilianer und Brasilianerinnen ein 39 Mal höheres Monatseinkommen als die zehn ärmsten Prozent. Damit entfallen 44,5 Prozent des gesamten Einkommens auf zehn Prozent der Bevölkerung. Die Ärmsten der Armen haben vom allgemeinen Anstieg der Löhne kaum profitiert. 17,7 Prozent der rund 190 Millionen Brasilianer gelten offiziell als arm.
Für die Unternehmen, die auf der »schmutzigen Liste« stehen, hat die Auflistung auch wirtschaftlich Konsequenzen. So erhalten sie von den staatlichen Kreditinstituten keine Gelder mehr. Zudem werden alle Firmen vor einer Zusammenarbeit mit den angezeigten Betrieben gewarnt. Außerdem werden ihre Produkte von den Unternehmen boykottiert, die sich zu einem Pakt gegen Sklavenarbeit zusammengeschlossen haben. Wer von der Liste gestrichen werden möchte, muss die arbeitsrechtlichen Bedingungen erfüllen und die verhängten Geldbußen zahlen. Die machten 2011 immerhin eine Gesamtsumme von rund 2,2 Millionen Euro aus.
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