Schrei nach Aufmerksamkeit

Flüchtlinge in München treten in Hungerstreik

  • Rieke C. Harmsen, epd
  • Lesedauer: 3 Min.
Jugendliche aus Afghanistan sind in einen Hungerstreik getreten. Sie protestieren gegen ihre Unterbringung im Münchner Flüchtlingslager.

München. Mohammed (Name geändert) hat seit zehn Tagen nichts gegessen. Der 16-jährige Flüchtling aus Afghanistan ist im Hungerstreik. Seit mehr als sechs Monaten lebt er in der ehemaligen Bayernkaserne im Münchner Norden. Angekündigt waren drei Monate. Doch kommt die »Erstaufnahmeeinrichtung für unbegleitete minderjährigen Flüchtlinge« nicht mehr hinterher mit der Arbeit. Statt der geplanten 50 leben derzeit rund 130 Jugendliche in der Kaserne, und bis ihr Verfahren geprüft wird und sie in eine Jugendhilfeeinrichtung kommen, vergehen Monate.

Am vergangenen Montag haben sich weitere 40 Jugendliche in der Bayernkaserne Mohammeds Hungerstreik angeschlossen. Bei einem Gespräch mit Vertretern von Regierung, Behörden und Pfarrer Andreas Herden von der Inneren Mission München formulierten die Jugendlichen am Dienstagabend ihre Wünsche: eine sichere und ruhige Bleibe, mehr Freizeitaktivitäten und einen besseren Zugang zu Bildungsangeboten - vor allem aber wollen sie Betreuer, die sie über ihre Rechte informieren, die Zeit haben für ein Gespräch und nicht nur im Notfall zu sprechen sind.

»Es war ein Schrei nach Aufmerksamkeit und Zuwendung«, schildert Herden am Mittwoch die Begegnung. Die Jugendlichen fühlten sich wie Bäume, deren Wurzeln ausgerissen worden seien. »Sie leiden unter Kriegstraumata und sind ohne ihre Eltern ganz auf sich selbst gestellt«, erklärt Herden. Mittlerweile sollen 20 Flüchtlinge ins Krankenhaus eingeliefert worden sein, teilten die Jugendlichen ohne Grenzen Bayern und der Karawane München gestern mit. Beide Organisationen sprechen von 60 Flüchtlingen, die sich im Hungerstreik befinden.

Die Behörden und Einrichtungen seien zwar bemüht, die Situation der Minderjährigen zu verbessern. Doch dauerten die Verfahren meist länger als die vorgesehenen drei Monate. Es gibt nicht genügend Geld für das Betreuungspersonal und die Deutschkurse. Besserung ist nicht in Sicht, denn die Zahl der Schutzsuchenden steigt. Die Kaserne hat ihre Kapazitätsgrenze erreicht: Von den 400 Plätzen sind 379 belegt.

»Die Situation in der Bayernkaserne ist eine große Belastung, das Warten ist zermürbend«, sagt Herden. Aber die Jugendlichen seien auch in der Pflicht: »Diese Jungs müssen die Verantwortung für ihr Leben übernehmen.« Als Beispiel dafür erzählt er, dass zwei bis drei Mal am Tag in der Kaserne falscher Alarm ausgelöst wird. »Jedes Mal rückt die Feuerwehr an, und alle 400 Bewohner müssen aus dem Gebäude«, berichtet der Pfarrer. Es sei an den Jugendlichen, dazu beizutragen, dass solche Zwischenfälle unterbleiben.

Um das Gefühl für Verantwortung zu stärken, kündigte die Innere Mission - abgesehen von den Sprachkursen, an denen täglich rund 80 Jugendliche teilnehmen - zwei weitere Projekte an. So wollen Jugendliche der evangelischen Hoffnungskirche Freimann ein »Jugendcafé« in der Kaserne einrichten. Außerdem will ein Diakon mit Münchner Jugendlichen eine Gruppe gründen, die die afghanischen Flüchtlinge unterstützt.

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