Bulgariens Ataka verliert an Stoßkraft

Rechtspopulistischer Parteichef Wolen Siderow sieht sich von eigenen Abgeordneten verlassen

  • Thomas Frahm, Sofia
  • Lesedauer: 3 Min.
Der ehemalige bulgarische Ministerpräsident Iwan Kostow schlägt Alarm: Die Regierungspartei GERB locke andere Abgeordnete, ihre Parteien zu verlassen und als »Unabhängige« in wichtigen Fragen für sie zu stimmen.

Iwan Kostow ringt selbst ums politisches Überleben. Da lohnt ein Blick hinter die Kulissen. Dort spielt sich - ohne Zutun von GERB - vor allem der Zerfall der rechtspopulistischen Partei Ataka ab.

Bei den Parlamentswahlen im Juli 2009 hatte Boiko Borissows Partei Bürger für eine europäische Entwicklung Bulgariens (GERB) einen unerwartet hohen Wahlsieg eingefahren, die absolute Mehrheit aber um fünf Stimmen verfehlt. Koalitionen wollte GERB im Wissen um die Brüchigkeit politischer Formationen in Bulgarien nicht eingehen. Stattdessen setzte Borissow darauf, von Fall zu Fall Stimmen aus dem rechten Lager zu erhalten. Mit Ataka, der Blauen Koalition aus Kostows Demokraten für ein starkes Bulgarien und Martin Dimitrows Bündnis der Demokratischen Kräfte sowie Jane Janews Partei »Ordnung - Gesetzlichkeit - Gerechtigkeit« verfügte die Rechte über 46 von 240 Sitzen.

Ende 2011 waren davon allerdings nur noch 22 übrig. 24 Abgeordnete waren parteilos geworden. Janews Partei verlor nach Skandalen gar ihren Fraktionsstatus. Das konnte GERB aber noch gleichgültig sein.

Schwerer wog die Krise bei Ataka, auf die GERB sich lange Zeit unverbrüchlich hatte verlassen können. Deren Chef Wolen Siderow hatte mit dem Herkulesruf »Wir säubern die bulgarischen Augiasställe« und gereckter Faust bis zu 9 Prozent der Wählerstimmen errungen und seine Partei zur »verschworenen Gemeinschaft« verschweißt. Doch seine Präsidentschaftsträume veränderten alles. Als Kandidat fürs oberste Staatsamt zeigte er sich im vergangenen Herbst plötzlich milde lächelnd auf Plakaten, und statt mit Frau Kapka Siderowa absolvierte er seine Wahlkampfreisen mit der jungen Ataka-Abgeordneten Deniza Gadschewa. Schon damals verließen die ersten Abgeordneten unzufrieden die Partei.

Nach dem katastrophalen Wahlergebnis Siderows (3,7 Prozent) verschärfte sich die Lage. Einer der Ausgetretenen klagte: »Als die Partei im Aufschwung war, meinte Wolen, das sei sein Verdienst. Als sie abzustürzen begann, wollte er die Verantwortung dafür nicht übernehmen.« Auf einem Parteitag im Dezember 2011 traten weitere vier Abgeordnete aus. Siderows Stiefsohn Dimiter Stojanow, der für Ataka im Europäischen Parlament sitzt, wurde wegen kritischer Äußerungen gar aus der Partei ausgeschlossen. Im Fernsehkanal NOVA TV sagte Stojanow über den Rechenschaftsbericht Siderows: »Es wurde nur erörtert, wer welchen Teil der Parteifinanzen gestohlen habe.«

Während Siderow seine Leute des Diebstahls bezichtigte, stellte der ausgetretene Abgeordnete Borislaw Stojanow fest: »Die Probleme beginnen bei Wolen Siderow. Er ist der einzige, der weiß, wofür unsere staatliche Parteifinanzierung verwendet wird.« Und weiter: »Ich war eigentlich entschlossen, meinen Anteil an der staatlichen Parteifinanzierung nicht einer anderen Partei zu überschreiben; aber wenn nicht klar ist, wofür das Geld bei Ataka verwendet wird, werde ich misstrauisch.«

Die Behauptung Iwan Kostows, GERB mache den Rechtsparteien ihre Abgeordneten abspenstig und sichere sich so die absolute Mehrheit, stellt die zeitliche Abfolge der Ereignisse also auf den Kopf. Nun haben die »unabhängig« gewordenen Abgeordneten die staatlichen Zuwendungen, die ihrer früheren Partei für sie zustanden, aber tatsächlich an GERB überschrieben. Die Regierungspartei wiederum ließ zumindest einen Teil des Geldes an die Abgeordneten selbst zurückfließen. Und das löste einen Skandal aus.

Nach Ansicht des Journalisten Petjo Tswekow ist der in der Tat eine Prüfung durch die Korruptionskommission des Parlaments und den Rechnungshof wert, wie Kostow dies verlangt. Tswekow stellt in einem Artikel für die Zeitung »Sega« fest, dass die Zuwendungen des Staates für die Parteien nicht fraktions-, sondern parteigebunden seien, auch wenn die 8500 Euro, die jeder Abgeordnete für die Unterhaltung seines Büros erhalte, daraus bestritten würden. Es sei also illegal, diese Beträge einer Person zur freien Verfügung zu überlassen. Würde diese gesetzliche Grauzone nicht ausgeleuchtet, würden wieder einmal genau die Maßnahmen, die Korruption eindämmen sollen, dieser den fruchtbarsten Boden schaffen.

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