Grausam gute Laune

»Late Night« in der Philharmonie Berlin mit HK Gruber

  • Stefan Amzoll
  • Lesedauer: 3 Min.

Kurz vor der großen Rezession entsteht die »Öl-Musik«. Sie hebt an mit einer Nachtszene. Eine Jazzband spielt, ganz unschmissig. Hernach Arbeitsrhythmus, marcato, gefolgt von zwei Arbeiterliedern, zuletzt der Muschelsong. Der junge Kurt Weill hat das Stück 1928, während der bleichen, konträren »Golden Twenties«, gemacht. Weill, Könner, sich der verschiedensten Stile zu bedienen und diese zu kombinieren, schuf diametrale Teile. Den »Arbeitsrhythmus« fundieren kammermusikalische Satztechniken, während die Lieder typisch Weillschen Songmodellen entsprechen. Ein Meisterstück, dies kleine, Staub aufwirbelnde Werk, obendrein in der gebotenen Version. Und: gleich den anderen Stücken, die »Öl-Musik« passte vorzüglich ins »Late Night«-Angebot der Philharmonie.

So nennt der Veranstalter seine Nacht-Reihe. Besucher des abend-lichen Sinfoniekonzerts können ohne Zuzahlung weitere Musik im Hause hören. In diesem Falle präsentierte sich im großen Saal HK Gruber mit Musikern/Solisten aus den Reihen der Philharmoniker. Simon Rattle sollte die Nacht ursprünglich dirigieren - deren letztes Werk, HK Grubers »Frankenstein!!«, hatte Rattle 1978 mit der London Symphonietta uraufgeführt -, aber er musste absagen. So war der angesagte Hauptheld in etwas misslicher Lage: HK Gruber.

Gruber, Jahrgang 1943, er kommt aus Wien, ist Komponist, Sänger, Arrangeur, Texter, Moderator, Spaß-Produzent auf hohem Niveau und Kompilator im besten Sinn. Eigenes, Unverwechselbares sucht er fortwährend zu produzieren und schaukelt dabei nimmermüd auf den Karussells der Genres und Stile von E und U, deren Verhältnis sich längst erübrigt hat, aber deren Spannungen offenbar noch virulent sind. So gesehen ist Gruber ansteckend kreativ. Was sich erwies.

Der Arme musste nun ohne Rattle auskommen und das Gros des Programms bestreiten. Die Leute locker informieren, singen, tuten und blasen, dirigieren, sich dauernd umblicken, sprechen, nuscheln und - stets lächeln oder so tun, als ob. Unschwer zu bemerken: Wiener Charme leuchtet aus Grubers Augen, wenn der nur anhebt. Dem Publikum gefiel das außerordentlich. Zu Beginn kam Weills schneidiges »Berlin im Licht«. Ein Song, in dem Saxophone, sonstiges Holz, Blech, Banjo, Schlagzeug swingen und zeitweilig mit einer Solovioline konkurrieren, die natürlich unterliegt.

Einschub um halb zwölf: Luciano Berios »Sequenza X« für Trompete in C. Keine Virtuosennummer, die der Solist Gábor Tarkövi blies, wohl aber ein die Skala blasphonischer Möglichkeiten kunstvoll abarbeitendes Trompe- ten-Szenario.

Dann der Clou: HK Grubers Bubenstreich, sein exzentrischer, grotesker »Frankenstein!!«, in den Siebzigern kreiert, dutzende Male aufgeführt und nach allem, was darin paradiert, offenbar jedes Mal mit sicherem Erfolg. Grandios dieses Opus, eine Teufelei, so unsäglich und höllisch, so amüsant, dass dem staunenden Publikum fast die Luft wegblieb. Das Stück - jederman kennt »seinen« Frankenstein, dessen Dürste, dessen Gelüste - geht auf schwarzhumorige Kinderreime von H. C. Artmann, dem großen Wort- und Silbenkünstler, Landsmann Grubers, zurück. Sie legen es auf kindliche Unschuld an, auf die staunenden großen Kulleraugen, sofern sich Vampire, Unholde, Untote, Halbtote, schwarzquellendes Blut aus den Adern, Diabolusse, Monsterfratzen, Comicwelten sich der kindlichen Fantasiewelt eingraben.

Gruber baut aus solchen Bizarrerien ein »Pandämonium«, wie er es nennt, worin es singt und flüstert, pfeift und keift, in dem die johlenden Hexenmeister kreischen und die Musicis wie in einem Gruselkabinett Spielzeuginstrumente, aufgepumpte Papiertüten, auf die man draufkloppt, Plastikrohre zum Singen und Krächzen bringen, und alles dies in der blauäugigen, naiven, augenzwinkernden Absicht, »grausam gute Laune zu verbreiten«.

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