Die »kleine Schweiz« am Lago Arenal

Franz Ulrich und seine Frau Silena schufen sich in Costa Rica eine kuriose Welt, die Touristen magisch anzieht

  • Hilmar König
  • Lesedauer: 7 Min.
Glückliche Schweizer Milchkühe am Lago Arenal
Glückliche Schweizer Milchkühe am Lago Arenal

Braun-weiß gescheckte Kühe auf der saftig-grünen Bergwiese. Oben am Hang eine Luzerner Landkapelle mit bunten Glasfenstern und beeindruckender Deckenmalerei. Unten glitzert das klare blaue Wasser eines Sees. Ein Hotel mit Restaurant und zwei Bauernhöfe im Alpenstil. Ein Bähnle mit eigenem kleinen Bahnhof. Hätten wir gestern Nacht nicht die Brüllaffen durch den Regenwald toben hören und vor wenigen Minuten noch Nasenbären über den Weg laufen sehen, und wüssten wir nicht, dass sich hier im Geäst bunte Tukane verstecken, dann wähnten wir uns in der Schweiz.

Aber nein, wir befinden uns in Zentralamerika, allerdings im Reich des schweizerisch-costaricanischen Ehepaares Silena Moncada de Ulrich und Franz Ulrich. Mit Ideen, Tatkraft, Unternehmergeist und dem nötigen Kleingeld haben sie hier in der Nähe der Ortschaft Nuevo Arenal in Costa Rica, ein paar Hundert Kilometer von der Landeshauptstadt San Jose entfernt, »La pequena Helvecia« aufgebaut und sich ihre idyllische »kleine Schweiz« geschaffen.

Der 70-jährige Franz Ulrich sitzt am Computer an der Rezeption des Hotels »Los Heroes«, als ich ihn frage, ob er der Chef hier ist und ob er ein paar Minuten Zeit für ein Gespräch hätte. Chef sei er nur, wenn seine Frau nicht da ist, entgegnet er lachend. Und dann erzählt er die erstaunliche und zugleich amüsante Geschichte seiner Verwurzelung in Costa Rica. Der Tourismusunternehmer, Hotelier, Rinderzüchter und Milchbauer, Hilfspfarrer a. D., einstiger »Kaffeekönig«, TV-Manager, Busfahrer und Lokführer stammt aus Hergiswil am See im Schweizer Kanton Nidwalden. In der alten Heimat absolvierte er eine kaufmännische Lehre und ging 1963 nach Costa Rica, weil er etwas erleben und sich beweisen wollte.

Für eine costaricanische Kaffeefirma kurbelte er den Export nach Europa an, knüpfte Kontakte und lernte die Gepflogenheiten des Landes kennen. Nach einigen Jahren machte er sich in dieser Branche selbstständig und avancierte im Laufe der Zeit zum »Kaffeekönig« des Landes, verbuchte Umsätze bis zu 50 Millionen Dollar, erschloss sich neue Abnahmegebiete, beispielsweise Märkte in Japan und Südafrika oder in Polen, der Tschechoslowakei und der DDR. »Na, ja,« sagt er, »ich bin eben ein bisschen früher aus dem Bett gehupft als meine einheimischen Konkurrenten.« Außerdem wurde er Skoda-Vertreter, »denn diese Marke war hier sehr beliebt, das Auto vergleichsweise billig.« So kam er auch noch zu einem anderen Geschäft mit der CSSR. Diese lieferte Stahlplatten, die eigentlich als Rüstungsgut nicht exportiert werden durften. Doch weil Costa Rica kein Militär, sondern nur Polizei hat, kam es zu dieser Ausfuhrsondergenehmigung. Die Stahlplatten wurden in Costa Rica für den Bau dringend benötigter Trinkwassertanks verwendet.

1977 heirateten Franz Ulrich und Silena Moncada. Durch gute Beziehungen wagte er sich danach auf ein für ihn völlig neues Parkett - das Fernsehen. Sieben Jahre lang managte er eine costaricanische TV-Station. 1989 zog die Familie an den etwa 80 Quadratkilometer großen Arenal-Stausee, erwarb in Nuevo Arenal 190 Hektar Land, davon 65 Hektar Acker und Weiden, der Rest Urwald. Den See umgibt eine 150 Meter breite staatlich geschützte Tabuzone, in der nicht gebaut und gewirtschaftet werden darf.

Nun waren Ideen zur Nutzung des Anwesens gefragt. Die kamen Franz und Silena, die nicht nur fließend Schwyzer-, sondern auch Hochdeutsch spricht, recht schnell: Tourismus und Milchwirtschaft. Noch 1989 entstand ein Kuhstall. Zwei Jahre später war ein Lokal mit Pension fertig. Sie begannen Milchkühe zu halten und Wiesen und Äcker zu bewirtschaften. »Alles Bio«, versichert der Landwirt. Heute stehen 160 Kühe und drei auch bei anderen Farmern begehrte Zuchtbullen im Stall. Dem Kuhstall folgten nach und nach zwei Höfe, ein Traktor, ein Ladewagen, ein Lkw, zwei Jeeps und ein inzwischen 40 Jahre alter Bus.

Das kleine Lokal mauserte sich zu einem typisch schweizerisch eingerichteten Restaurant im Hotel »Los Heroes«. Wer die heroischen Namensgeber waren, kann man an der Giebelfront in Wort und Bild erfahren: Arnold von Winkelried und Juan Santamaria. Nationalheld Winkelried soll am 9. Juli 1386 bei der Schlacht von Sempach gegen die Habsburger den Eidgenossen durch seinen Opfertod eine Bresche geschlagen haben. Nationalheld Santamaria, ein Trommler in der Armee Costa Ricas, war in der zweiten Schlacht von Rivas gegen die Söldnertruppe des US-Amerikaners William Walker am 11. April 1856 gefallen, als er in einem Akt der Selbstaufopferung die Barrikaden des Feindes in Brand setzte und diesen damit vertrieb.

Auf der Speisekarte im Lokal stehen selbstverständlich auch Zürcher Geschnetzeltes mit Rösti und Fondue. 13 Urlauber finden im Hotel eine Schlafgelegenheit, im Wohnhaus für Feriengäste in drei Appartements noch einmal etwa 15 Personen. Wem es nach Grau- oder Schwarzbrot gelüstet, der kann es in der ein paar hundert Meter entfernten German Bakery kaufen, einer deutschen Bäckerei mit angeschlossenem Restaurantbetrieb.

Franz und Silena war schnell klar, dass ihr Angebot nicht ausreichen würde, Touristen in Scharen in die »kleine Schweiz« zu locken. Deshalb nahmen sie kühn den Bau einer Schmalspurbergbahn in Angriff, die sich über dreieinhalb Kilometer vom kleinen Bahnhof »La pequena Helvecia« nach oben windet. »Das war Knochenarbeit«, erinnert sich der Gleisbauer Franz, »denn es gab keine Zufahrt, keinen Wasser- und keinen Stromanschluss. Wir mussten unsere Landmaschinen einsetzen, sonsten wäre die Trasse mit Viadukt und Tunnel nie fertig geworden.« Das Bähnle ziehen zwei Dieselloks aus Deutschland und eine aus der Schweiz. Damit war die erste Attraktion geschaffen.

Beide wollten nun freilich noch mehr. Oben auf dem Berg, an der Endstation der Bahn, verwirklichten sie eine kühne - einige der Nachbarn meinten spinnige - Idee: Sie ließen das »Rondorama« bauen, ein Restaurant, das sich in 48 Minuten um die eigene Achse dreht und herrliche Ausblicke auf den nahen Vulkan Arenal, auf Wälder, Berge, Almen und den See ermöglicht. Zwischen Mexiko und Kolumbien hat das »Rondorama« keine Konkurrenz, entsprechend groß ist der Zulauf. »Wir haben durchschnittlich 65 Besucher pro Tag. Da kann es sein, dass alle Gäste oben sitzen und unser Restaurant unten leer ist«, verrät der Gastwirt.

Auf die »Helden von Nuevo Arenal« sind längst auch die Kreuzfahrtgesellschaften aufmerksam geworden. Die Touristen werden früh am Hafen Punta Arenas mit dem Bus abgeholt und verbringen den Tag am Lago Arenal und bei »Los Heroes«, baden im Pool an der Rückseite des Hotels, besichtigen die Kapelle, zuckeln mit dem Bähnle nach oben und essen im rotierenden Panoramarestaurant. Wem es nach weiteren Ausflügen gelüstet, der kann zu Fuß in 20 Minuten den Vulkan, heiße Quellen oder originelle Hängebrücken erreichen.

Tatkräftige Hilfe erhalten sie von Sohn Stefan, der in der Schweiz Maschinenbau studierte und nun hier als Cheftechniker fungiert.

Am Ende des Gesprächs setzt sich Silena Ulrich mit einem freundlichen »Grüezi« für einen Augenblick zu uns. Sie erzählt, wie es zum Bau des Kirchleins gekommen war: Die Einheimischen wollten schon lange ein eigenes Gotteshaus. Und die Ulrichs wollten dasselbe als Dank für die wundersame Genesung ihrer bei einem Unfall schwer verletzten, damals zwölf Jahre alten Tochter Erika. Als die Kapelle fertig war, schlüpfte Franz ab und an in eine neue Rolle und sprang als Pfarrer ein, wenn Not am Mann war. Tochter Erika lebt heute in Oberdorf im Schweizer Kanton Stans.

Haben sich Señor und Señora Ulrich mit ihrem Reich am Lago Arenal einen Lebenstraum erfüllt? Erstmals schwindet der Schalk aus Franz Ulrichs Augen: »Was hier steht, war nie ein Traum von uns. Es ist einfach so aus dem Geschäftsleben heraus entstanden.« Etwas versonnen nickt Silena und fügt dann leise hinzu: »… aber nicht von allein.«

Infos:

Infos: Fremdenverkehrsamt Costa Ricas: Costa Rica Tourism Board, East Side of Juan Pablo II Bridge, 777-1000 San Jose, Kostarika, Tel.: (00506) 2299 5800, Los Heroes: Tel.: (00506) 2692-8012/13, Fax: -8014, E-Mail: info@pequenahelvecia.com, www.pequenahelvecia.com

Silena und Franz Ulrich
Silena und Franz Ulrich
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