Gefährliche Spekulation am Strommarkt

Bundesnetzagentur will aufklären, warum das Netz zeitweilig vor dem Kollaps stand

  • Bernward Janzing
  • Lesedauer: 3 Min.
Stromhändler haben in den Tagen der strengen Kälte das Stromnetz in Deutschland fast kollabieren lassen.

In einem jetzt bekanntgewordenen Schreiben, das die Bundesnetzagentur an 900 Stromhändler verschickt hat, heißt es, das deutsche Stromnetz habe seit dem 6. Februar zu unterschiedlichen Tageszeiten »erhebliche, über mehrere Stunden anhaltende Unterdeckungen verzeichnet«. Die Regulierungsbehörde äußert daher »erhebliche Besorgnis«.

Die Netzstabilität wurde allerdings nicht durch die technischen Rahmenbedingungen oder einen grundsätzlichen Mangel an Kraftwerkskapazitäten gefährdet, wie es die Atomlobby nach dem Ausstiegsbeschluss an die Wand gemalt hatte, sondern durch spekulatives Verhalten von Stromhändlern. Dieses ging von den sogenannten Bilanzkreisverantwortlichen aus. Diese sind verpflichtet, Stromproduktion und -verbrauch zu jeder Tageszeit nach bestem Wissen und Gewissen zu prognostizieren und den nötigen Strom am Markt zu beschaffen. Das kann an der Börse geschehen, aber auch durch bilaterale Verträge. Auch für außerbörsliche Geschäfte gilt jedoch der Preis an der Leipziger Energiebörse EEX als Referenz.

Weil die Preise am Spotmarkt der EEX aber zeitweise sehr hoch lagen - mitunter bei bis zu 38 Cent je Kilowattstunde -, hatten sich offenbar zahlreiche Stromhändler in den betreffenden Stunden bewusst nur unzureichend mit Strom eingedeckt. Ihr Kalkül: Sie setzten zur Deckung ihres Bedarfs auf die Regelkraftwerke, die eigentlich nur dem Erhalt der Netzstabilität dienen sollen, indem sie unvermeidbare Prognosefehler kompensieren. Damit konnten die Händler auf Preisvorteile spekulieren, weil die Regelenergie typischerweise billiger ist, als es der Strom am Spotmarkt zuletzt zeitweise war. Solches Verhalten ist allerdings regelwidrig und kann Stromhändler ihre Lizenz kosten.

Dass Marktakteure sich auf diese Weise Vorteile verschaffen, ist nie auszuschließen und im Einzelfall auch kaum nachweisbar. Doch in den kalten Februartagen kam es nach derzeitiger Erkenntnis offenbar zu solchen Regelverstößen in großem Stil. Das hatte zur Konsequenz, dass die zur Verfügung stehende Regelleistung »nahezu vollständig für die Deckung von Lastprognosefehlern aufgebraucht« wurde, wie auch der Übertragungsnetzbetreiber 50Hertz beobachtete. Im Fall einer Störung, etwa eines Kraftwerksausfalls, hätte in den betreffenden Zeiten keine Regelleistung mehr zur Verfügung gestanden; das Netz hätte zusammenbrechen können.

Obwohl die Preise am Spotmarkt auch schon früher ähnlich hoch waren, hatte es eine solche Destabilisierung der Netze durch Regelverstöße zuvor nicht gegeben. »Das könnte daran liegen, dass sich durch die Photovoltaik die Preismuster am Strommarkt verändert haben«, sagt Tobias Federico, Strommarktanalyst von Energy Brainpool in Berlin. Denn früher traten hohe Strompreise meist den ganzen Tag über auf, heute gibt es oft nur noch kurzzeitige Preisspitzen in den Morgen- und Abendstunden: »Da lohnt es sich dann mitunter nicht, ein Kraftwerk extra anzufahren.«

Der Präsident der Bundesnetzagentur, Matthias Kurth, will den Sachverhalt nun mit Hochdruck aufklären: »Wir werden genau untersuchen, wie es zu der außergewöhnlichen Situation im Stromnetz gekommen ist, und anschließend darüber berichten.« Erste Gespräche mit dem Wirtschaftsministerium über Konsequenzen habe man bereits aufgenommen.


Lexikon

Am Spotmarkt (Kassamarkt) werden Wertpapiere, Devisen oder andere Waren gehandelt, die spätestens innerhalb von maximal zwei Börsentagen geliefert und bezahlt werden müssen. Liegt die Erfüllung weiter in der Zukunft, handelt es sich um ein Termingeschäft. Die Geschäfte am Spotmarkt werden zu Kassakursen abgewickelt, die sich auf Grund von Angebot und Nachfrage ergeben. nd

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