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Kein versöhnliches Signal

Kandidatenkür und fortgesetzte Ausgrenzung der Linken in Deutschland

  • Jürgen Amendt
  • Lesedauer: 3 Min.

Um es vorwegzunehmen: Ich halte Joachim Gauck für einen würdigen Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten der Bundesrepublik Deutschland. Ich schreibe das als Linker, der mit den politischen Ansichten des zukünftigen Staatsoberhauptes in vielen Dingen nicht übereinstimmt. Gleichzeitig aber fühle ich mich durch die Art und Weise der Kandidatenkür als Linker ausgegrenzt. Man wolle einen Präsidenten, der von einer breiten gesellschaftlichen Basis getragen werde, hieß es aus den Reihen von Union und FDP, SPD und Grünen noch am Freitag. Dafür hätte man sich Zeit nehmen und - auch unter Einschluss von Vorschlägen der Linkspartei - über mögliche Kandidatinnen und Kandidaten öffentlich debattieren müssen. Möglicherweise, wohl sogar wahrscheinlich, wäre es dennoch auf Gauck hinausgelaufen. Eine solche Debatte aber wäre ein versöhnliches Signal nach Links gewesen.

Joachim Gauck wurde von der FDP durchgedrückt, ist aber auch der Kandidat von SPD und Grünen. Ein ausgewiesener Konservativer auf rot-grünem Ticket. Wie geht das zusammen, wie kann das zusammen gehen? Es kann, wenn das Fundament da ist, auf dem Toleranz fußt: Das gegensätzlich Andere aushalten zu können, im Wissen, dass in ihm potenzielle Wahrheit schlummert. In den 1980er Jahren war es unter Linken in Westdeutschland verbreitet, Hinweise aus dem konservativen Lager auf Menschenrechtsverletzungen in der DDR als »Kalte-Kriegs-Propaganda« zu diffamieren. Doch die Konservativen hatten Recht. Gleichermaßen müssten sie heute aber Linken nachträglich zustimmen, die damals Einwanderung als Chance für diese Gesellschaft benannten. Aber tun sie das? Nur bedingt.

Das Wesen der repräsentativen Demokratie besteht darin, dass der Souverän, das Volk, die Wahl zwischen Alternativen hat. Das ist zugleich das Problem, denn die Zahl der Alternativen ist immer eine endliche, im Regelfall sogar eine äußerst beschränkte. Es gibt, um beim aktuellen Beispiel Gauck zu bleiben, eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts infratest dimap aus dem Jahr 2010. Damals, kurz vor der Bundespräsidentenwahl, wurden Bürger gefragt, wen sie lieber als Staatsoberhaupt hätten: Christian Wulff oder Joachim Gauck. Eine Mehrheit von 47 zu 31 Prozent sprach sich für Gauck aus. Interessant ist die Verteilung nach Parteienpräferenz: Mit 57 zu 7 Prozent rangierte der Ex-Bürgerrechtler bei der Anhängerschaft der Linkspartei deutlich vor dem niedersächsischen Ministerpräsidenten - Werte, die nur knapp hinter denen der Grünen-Anhänger (61 zu 22 Prozent) und noch vor denen der SPD-Wähler (52 zu 36 Prozent) lagen.

Doch sagt das wenig über Beliebtheit oder Unterstützung von Gaucks politischen Ansichten bei den Linken aus. Es stand ja nur die minimale Zahl von Alternativen, nämlich zwei Konservative, zur Auswahl. Viel interessanter ist eine andere Zahl aus besagter Umfrage: Mit 33 Prozent war der Anteil jener, die sich für keinen der beiden Kandidaten erwärmen konnten, unter den Linkspartei-Anhänger am höchsten; FDPler dagegen bezogen deutlich Stellung: 89 Prozent für Gauck, 11 Prozent für Wulff.

Man kann das so interpretieren: Der Grad der Identifikation mit dieser Republik beträgt bei FDP-Anhängern 100 Prozent, jener der Linkspartei-Klientel lediglich 67 Prozent. Denn: So schwer sich der politische Konservativismus in den vergangenen Jahrzehnten damit tat, die politische Linke als Teil der Nation zu verstehen, so schwer fällt es nach wie vor vielen Linken - innerhalb und außerhalb der Partei -, sich selbst als Teil dieser Nation zu begreifen.

Es wäre viel gewonnen für diese Demokratie, würde am Ende der Amtszeit von Joachim Gauck die Antwort auf die Frage, wer denn der bessere Präsident gewesen sei - Wulff oder Gauck - unter den Anhängern der Linkspartei 80 Prozent Wulff und 20 Prozent Gauck nennen würden.

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