Die Knappheit ist schon da

In einigen Ballungszentren im Westen fehlt es massiv an bezahlbarem Wohnraum

Die Karte zeigt, wie viele Mietwohnungen – in Prozent des gesamten Wohnungsbestandes – in den einzelnen Stadtkreisen (SK) und Landkreisen (LK) im Jahr 2017 voraussichtlich fehlen werden.
Grafik: Pestel-Institut, nd
Die Karte zeigt, wie viele Mietwohnungen – in Prozent des gesamten Wohnungsbestandes – in den einzelnen Stadtkreisen (SK) und Landkreisen (LK) im Jahr 2017 voraussichtlich fehlen werden. Grafik: Pestel-Institut, nd

Es hätte ein Weckruf sein können: In Hamburg protestierten im Oktober 2010 rund 5000 Menschen für »Leerstand zu Wohnraum«. Die Demo war der erste deutliche Hinweis auf ein zurückkehrendes Problem, das seit den frühen 80er Jahren für Politiker als gelöst galt: eine zunehmende Verknappung bei bezahlbaren Mietwohnungen für untere Einkommen. In einigen Vierteln westlicher Ballungszen-tren ist dies längst Realität. In Hamburg etwa fehlen nach den jetzt veröffentlichten Berechnungen des Pestel-Instituts aktuell rund 15 000 Mietwohnungen. Und Knappheit, das ist eine marktwirtschaftliche Binsenweisheit, treibt die Preise hoch: Allein in den vergangenen beiden Jahren stieg die durchschnittliche Netto-Kaltmiete (also ohne die ebenfalls stark gestiegenen Betriebskosten) in Hamburg um 5,8 Prozent - und damit noch stärker als davor. Wer relativ günstigen Wohnraum sucht, muss sich am Stadtrand umsehen. Kritiker sehen die Gründe für die Entwicklung in Umstrukturierungsprozessen in zentralen Stadtteilen und der Tatenlosigkeit der Politik.

In München ist dies nichts Neues. Die bayerische Landeshauptstadt mit ihren großen Industriebetrieben, ordentlichen Tariflöhnen und niedriger Arbeitslosigkeit galt mit Ausnahme einiger »Problemsiedlungen« schon immer als teuerstes Pflaster Deutschlands. Manche zogen wegen der extrem hohen Lebenshaltungskosten aufs Land, Studenten gingen auch schon mal an Unis im deutlich günstigeren Nordbayern. Dennoch hat sich auch im einstigen Schickeria-Zentrum die Lage auf dem Wohnungsmarkt zuletzt verschärft. Der jüngste Wirtschaftsboom führte zu einem spürbaren Zuzug von Arbeitskräften. Hinzu kommen auch hier Luxussanierungen begehrter Altbauwohnungen in zentraler Lage, die dann zum Teil in Wohneigentum umgewandelt werden. So ist nicht verwunderlich, dass München mit 31 000 fehlenden Mietwohnungen die Liste deutscher Großstädte anführt. Mit einer Nettokaltmiete von durchschnittlich 12 Euro pro Quadratmeter ist die Stadt an der Isar natürlich weiterhin Spitze in Deutschland.

Frankfurt am Main holt indes auf. Der Leerstand, umgerechnet auf die Gesamtbevölkerung, ist hier sogar höher als in der Millionenstadt München. In der Hessenmetropole fehlen 17 500 Wohnungen - bei rund 680 000 Einwohnern. In einigen Lagen, etwa in ufernahen Gebieten des Szene- und Äppelwoikneipen-Viertels Sachsenhausen oder im ehemaligen Spontibezirk Westend, zahlt man bereits Münchner Preise, im ehemaligen Arbeiterbezirk Gutleutviertel hingegen nicht einmal die Hälfte davon. Frankfurts Fluch ist die City. Durch das Entstehen des finanzmarktgetriebenen Kapitalismus gab es einen Boom bei Arbeitskräften und Gehältern in der Branche. Die steigende Nachfrage nach Luxuswohnungen verknappte den bezahlbaren Wohnraum. Hinzu kam durch den Boom der »New Economy« Anfang der 2000er Jahre ein massiver Zuwachs an Büroimmobilien - seit dem Platzen der Blase ist Frankfurt nun Deutschlands Leerstandsmetropole - rund ein Drittel aller Büros, zwei Millionen Quadratmeter, sind betroffen. Allerdings werden diese Immobilien nur selten in Wohnungen umgewidmet - dadurch würde nämlich der Bodenwert eines Grundstücks sinken.

Während auch in Köln, Stuttgart, Hannover und Freiburg Tausende Mietwohnungen fehlen, findet sich keine ostdeutsche Stadt unter den »Top 10«. Der Wegzug im Gefolge der Deindustrialisierung und der Geburtenrückgang nach der Wende machen sich auf dem Wohnungsmarkt noch stark bemerkbar. Mancherorts ist man noch nicht mit dem Abriss überflüssiger Wohnungen fertig. Allerdings ändert sich dies zum Teil: Etwa in der Technologie- und Forschungshochburg Jena haben Studenten zunehmend Probleme, bezahlbaren Wohnraum zu finden. Kleinere Städte in der näheren Umgebung wie Pößneck werben bereits um die Nachwuchsakademiker.

In Mecklenburg-Vorpommern macht die schöne Landschaft Mietwohnungen knapp und teuer. In den Seebädern auf Usedom muss man schon bis zu zehn Euro pro Quadratmeter zahlen. Hier boomt ein spezielles Segment des Immobilienmarktes: Ferienwohnungen. Dies ist der Grund dafür, dass laut einer aktuellen Hochrechnung des Immobilienverbands IVD das nordöstliche Bundesland 2011 mit einem Plus von 33 Prozent bei Immobilientransaktionen Spitzenreiter in Deutschland war.

Bis 2017 wird die bislang vor allem in einigen Ballungszentren im Westen spürbare Mietwohnungslücke dort noch zunehmen - und weitere Großstädte erreichen. Es sei denn, die Politik nimmt den Ruf der Hamburger Demonstranten endlich ernst.

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