Das große Nachschlagen

In Münster, Oldenburg und Gütersloh werden Straßennamen auf NS-Altlasten geprüft

  • Velten Schäfer
  • Lesedauer: 4 Min.
In einer Reihe von nordrhein-westfälischen und niedersächsischen Städten wird derzeit über Straßennamenspatrone debattiert. Am gründlichsten verläuft die Debatte in Münster, wo sich nun eine Mehrheit für eine Umbenennung des dortigen »Hindenburgplatzes« ausgesprochen hat.

Das beschauliche Münster, gerade noch in Nordrhein-Westfalen gelegen, ist eine Stadt der heimlichen Superlative: Immer wieder belegt die erzkatholische Enklave in bundesweiten Rankings den ersten Platz. Zum Beispiel bei der subjektiven Lebenszufriedenheit: Nirgendwo, belegen Umfragen mit schöner Regelmäßigkeit, fühlen sich die Bürger im Durchschnitt wohler in ihrer Haut. Darüber hinaus darf sich Münster sicherlich der längsten Folter der Menschheitsgeschichte rühmen: Die Käfige, in denen hoch oben an einem Kirchturm vor Jahrhunderten vermeintliche Ketzer verhungern mussten, hängen noch immer an Ort und Stelle. Und überdies rühmt sich Münster eines der größten innenstädtischen Plätze des alten Europas: des Hindenburgplatzes direkt vor dem Schloss.

Über den Namen dieses Platzes wird jetzt allerdings gestritten rund um den Aasee. Ist Hindenburg, der Mann, der u.a. Hitler inthronisierte und von der Republik, die er als Präsident verkörpern sollte, absolut nichts hielt, heute noch ein würdiger Straßennamenträger? Da Münster, wie Oberbürgermeister Markus Lewe meint, als »Stadt des Westfälischen Friedens« nach dem 30-jährigen Krieg eine »besondere Verantwortung für den Umgang mit Geschichte« trägt, hat die Stadt vor zwei Jahren eine Kommission aus Parteien, Verwaltung und Wissenschaftlern mit der Überprüfung von städtischen Straßennamen auf problematische, insbesondere NS-nahe Idole beauftragt. Unter den Namen, die die Kommission von Straßenschildern tilgen möchte finden sich neben Hindenburg die Schriftstellerin und Hitler-Bewundererin Agnes Miegel, der Publizist Friedrich Castelle, der Sportfunktionär Carl Diem, der Komponist Franz Ludwig, der für die NSDAP-Parteitagsmusik geschrieben hatte, der pseudowissenschaftliche »Rassehygieniker« Karl Wilhelm Jötten, der Komponist und Kulturpolitiker Hans Pfitzner, der Volksschullehrer und völkische Schriftsteller Hermann Stehr und der »Heimatdichter« und Verbandsfunktionär Karl Wagenfeld, über den derzeit auch in anderen Städten gestritten wird (ND berichtete).

Bei drei weiteren Kandidaten empfiehlt die Münsteraner Kommission eine Beibehaltung des Namens mit erläuternden Hinweisen. Das Kriterium war dabei die Frage, ob die entsprechende Person das NS-Regime »aktiv gestützt« hat, also »in eigener Initiative für das NS-Regime eingetreten« ist und »ihre Fähigkeiten dem NS-Regime aktiv zur Verfügung gestellt« hat, um es »zu stabilisieren bzw. bei der Erreichung seiner Ziele zu unterstützen.« Bei einer repräsentativen Bürgerbefragung zum Thema, deren Ergebnisse dieser Tage veröffentlicht wurden, haben sich die Münsteraner im Durchschnitt allerdings als milder erwiesen als die Kommission. Nur in der Causa Hindenburg ist eine Mehrheit von 48 gegen 35 Prozent für eine Umbenennung. In den anderen, weniger prominenten Fällen sind etwa 30 Prozent der Bürger für eine Beibehaltung des Namens mit erläuterndem Zusatzschild, 27 Prozent wollen alles lassen, wie es ist, 22 Prozent sind für eine kommentarlose Änderung der Namen und 16 für eine Umbenennung mit erläuterndem Hinweisschild. Der Carl-Diem-Weg ist bereits Geschichte und heisst heute »Sentruper Straße«; über den Hindenburgplatz hat der Stadtrat zu entscheiden, der sich am 21. März mit dem Problem befassen will. Die anderen »Fälle« liegen bei den Stadtbezirken.

Ganz gleich wie die Debatte am in den Einzelfällen ausgeht: Sie wirkt bereits jetzt über die Grenzen der Stadt hinaus. Über Castelle, Wagenfeld und Diem zum Beispiel streitet seit Januar auch die kleine Umlandgemeinde Nottuln, wo zudem auch die Rolle des früheren Amtsbürgermeisters Hermann Kalbhen für Diskussionen sorgt. Im niedersächsischen Oldenburg scheint vor dem Hintergrund der Debatten in Münster und einer kürzlich erfolgten Schändung des jüdischen Friedhofes wieder Bewegung in die von der örtlichen Linkspartei/Piraten-Fraktion bereits vor zwei Jahren beantragte Umbenennung der Hedwig-Heyl-Straße zu kommen. Die 1934 verstorbene Heyl war eine rassistische Kolonialverbandsfunktionärin, die sich gegen die »Verkafferung« des »Menschenmaterials« im afrikanischen Ex-Kolonialgebiet einsetzte und sich während ihrer letzten Jahre öffentlich nach Hitler sehnte.

Auch im nordrhein-westfälischen Gütersloh hat nun das große Nachschlagen begonnen. Dort steht am am heutigen Montag in der Stadthalle eine Diskussion an, in der es schwerpunktmäßig um den Straßennamenspatron Hermann Simon geht. Der 1947 verstorbene Psychiater hatte 1931 in etwa den Personenkreis »definiert«, der später Opfer der NS-Euthanasiepolitik wurde. In der Bertelsmann-Stadt geht es darüber hinaus aber auch um Wagenfeld und Diem - aber auch um den vergleichsweise bekannten »Heimat«-Schriftsteller Hermann Löns, den bereits 1919 verstorbenen antisemitischen »Reformpädagogen« Hermann Lietz. Die Hermann-Simon-Straße in Gütersloh soll nach einem Beschluss des Kulturausschusses der Stadt allerdings nicht umbenannt werden; einem entsprechenden Bürgerantrag wurde nicht gefolgt. Aber immerhin will man sich jetzt mit Simons Wirken einmal detaillierter auseiandersetzen.

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