Atomindustrie hat Fukushima schon verkraftet

Außer Deutschland setzten die meisten Länder weiter auf Kernkraft

  • Hiroshi Hiyama, AFP
  • Lesedauer: 3 Min.
Ein Jahr nach dem GAU in Fukushima sieht sich die Atomindustrie wieder auf dem aufsteigenden Ast.

Vor einem Jahr hat der GAU in Fukushima die Atomindustrie in die schwerste Krise seit Tschernobyl gestürzt. Die ganze Welt konnte zusehen, wie wochenlang radioaktive Wolken aus den beschädigten Reaktoren traten, AKW-Arbeiter gegen die Kernschmelze kämpften und Zehntausende Menschen in der Umgebung in Sicherheit gebracht werden mussten. Die Bilder ließen einige schon das Ende der Atomkraft prophezeien. Doch das erwies sich als voreilig.

»Fukushima hat Planungen für neue Reaktoren verlangsamt und den Fokus auf einen Energiemix mit Naturgas und erneuerbaren Energien gelenkt«, sagt Energieexpertin Colette Lewiner von der französischen Beraterfirma Cap Gemini. »Aber es war nicht das Ende der Atomkraft.« Die größten Auswirkungen von Fukushima seien eine stärkere Beschäftigung mit der Atomfrage und teilweise strengere Sicherheitsstandards.

Zwar beschloss Deutschland einen beschleunigten Ausstieg, die Italiener bekräftigten in einer Volksabstimmung, dass sie am beschlossenen Ausstieg festhalten wollten, und die Schweiz will ihre fünf Kraftwerke bis 2034 abschalten. Aber die meisten großen Staaten haben keine strategische Wende eingeleitet.

Großbritannien und Frankreich erklärten schnell, dass sie am Bau von Reaktoren der nächsten Generation festhalten. Die USA gaben für die erste Errichtung eines AKW seit 1978 grünes Licht. Indien und China bekräftigten Pläne, in den kommenden Jahren reihenweise AKW aus dem Boden zu stampfen.

2011 meldeten sich bei der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) in Wien zudem 60 Länder, die Atomprogramme neu auflegen wollen. »Wir erwarten, dass dieses Jahr Vietnam, Bangladesch, die Vereinigten Arabischen Emirate, die Türkei und Weißrussland mit dem Bau ihrer ersten Atomkraftwerke beginnen«, sagte der stellvertretende IAEA-Generaldirektor Kwaku Aning im Februar.

In Japan selbst erlebte die Atomenergie einen schweren Rückschlag. In den kommenden Wochen wird voraussichtlich auch der letzte von einst 54 Reaktoren heruntergefahren. Nach dem Unglück wurden zusätzliche Sicherheitsprüfungen angesetzt, einige mussten wegen Wartungsarbeiten vom Netz gehen. Ein Ausstieg sei nicht geplant, sagt Shinichiro Takiguchi vom Japan Research Institute. Konsens sei es aber, den Anteil der Kernkraft auf lange Sicht zu reduzieren.

Die Atomlobby zeigt sich wieder selbstbewusst. Der Generaldirektor des Welt-Atomenergie-Verbandes WNA, John Ritch, glaubt sogar, dass die Industrie durch das Unglück »unbeabsichtigt« stärker wurde. Mit besseren Sicherheitsmaßnahmen und Anlagen habe sie viele Länder beruhigen können. In den vergangenen zehn Jahren seien nämlich die meisten führenden Regierungen zu dem Schluss gekommen, dass sie die Kernkraft brauchten, so Ritch.

Viele Länder blicken deshalb erstaunt auf Deutschland, das bis 2022 den Ausstieg wagt. Die Bundesrepublik sei »ein interessantes Experiment in der Wirklichkeit«, das noch beweisen müsse, dass die Strategiewende hin zu erneuerbaren Energien funktioniere, sagt Patrick Criqui vom französischen Forschungsinstitut CNRS. »Auf kurze Sicht ist die Antwort Nein.« Ob das ehrgeizige Ziel langfristig erreicht werden könne, sei offen.

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