Das Volk hat zuerst eine Forderung: Rücktritt der Regierung

Die oppositionelle syrische Publizistin Mais Elkrydee hält die politischen Versprechen Assads nach wie vor für unglaubwürdig

  • Lesedauer: 3 Min.
Auf Einladung der Bundestagsfraktion der LINKEN weilt seit dieser Woche die syrische Bürgerrechtlerin Mais Elkrydee in Berlin. Mit der Damaszener Publizistin (Jahrgang 1977), die für das Nationale Koordinierungskomitee für den demokratischen Wandel (NCB) aktiv ist und sich selbst als marxistisch bezeichnet, sprach für »nd« Roland Etzel.
Mais Elkrydee
Mais Elkrydee

Heute vor einem Jahr gab es noch kein NCB. Waren Sie schon immer eine Gegnerin der Politik von Präsident Assad? Waren Sie überhaupt früher schon politisch aktiv?
Seit 2009 ist bekannt, dass ich gegen das Assad-Regime tätig bin, also gegen seine Politik. Eigentlich ist das ganze syrische Volk in Opposition gegen dieses Regime, aber es verhält sich als schweigende Mehrheit. Die meisten Aufständischen in Daraa, wo die Revolution begann, gehörten ja sogar zur Baath-Partei (Regierungspartei, die auch heute noch alle wichtigen Positionen im Staat besetzt - R. E). Gegen mich lag seit 2010 ein Ausreiseverbot vor, weil ich in nichtstaatlichen Organisationen tätig bin.

Können Sie sich jetzt legal für das NCB betätigen?
In der jetzigen Situation in Syrien ist unsere Tätigkeit weitgehend öffentlich. Das betrifft aber nicht unsere Arbeit an den Brennpunkten z. B. mit Jugendlichen. Das ist unter diesem Regime nicht möglich. Es hält ständig die Pistole auf die Brust.

Wie können Sie da derzeit überhaupt publizistisch tätig sein?
Seit Beginn der syrischen Revolution schreibe ich nicht mehr, nirgendwo, in keiner Zeitung und keinen anderen syrischen Medien, die öffentlich sind. Ich äußere mich aber Websites, wo über die syrische Revolution berichtet wird. Und ich habe auch eine Seite auf Facebook, die von Jugendlichen sehr viel gelesen wird. Meine Seite wird ständig besucht von etwa 5000 Personen.

In der vergangenen Woche war UN-Vermittler Kofi Annan in Damaskus. Er hat sich nach seinen Gesprächen mit der Regierung verhalten positiv geäußert über die Friedensaussichten.
Unsere Erfahrung mit der syrischen Regierung ist, dass sie gegenüber Diplomaten immer Versprechen abgibt. Aber sie hat sich nie daran gehalten.

Schließen Sie Gespräche mit der Regierung aus? Was verlangen Sie jetzt von ihr?
Ich glaube, dass die syrische Regierung keine Zugeständnisse gegenüber den Forderungen der syrischen Opposition und des syrischen Volkes machen wird.

Würden Sie verhandeln, wenn Sie ein Angebot bekämen?
Um Verhandlungen zu führen, muss man auch ein Mandat des syrischen Volkes haben. Und das Volk hat zuerst eine Forderung: den Rücktritt der Regierung. Notwendig ist eine Übergabe der Macht. Verhandeln also Ja, aber erst nach Rücktritt von Staatschef Baschar al-Assad.

Ich vermute, Sie sehen deshalb auch in der neuen, am 26. Februar per Referendum angenommenen Verfassung keine Basis für einen Neubeginn in Syrien.
Sicher kann man Teile der Verfassung diskutieren, aber für uns ist die Verfassung gegenstandslos, weil sie von den Machthabern allein erarbeitet wurde. Weiterhin gehört nach ihrem Text alle Macht dem Präsidenten, einschließlich des Oberbefehls der Streitkräfte. Im Grunde genommen sehen wir nirgendwo Reformen. Unsere Organisation hatte deshalb zum Boykott aufgerufen.

Mit welchen oppositionellen Gruppen arbeiten Sie zusammen?
Unser Bezugspunkt ist das syrische Volk. Wir arbeiten daran, dass die gesamte Opposition sich einigt, und das ist auch die wichtigste Forderung, die unser Volk an uns hat.

Treten Sie auch für bewaffneten Widerstand und Hilfe von außen ein?
Diese Frage bekomme ich immer wieder gestellt. Wissen Sie, Bürger, die sich an friedlichen Demonstrationen beteiligen, wissen nicht, ob sie wohlbehalten oder ob sie in einem Sarg zurückkehren. Und wer ein Messer an der Kehle fühlt, der wird auch den Teufel rufen. Aber Fakt ist: Dieses Volk will seinen Kampf allein führen.

Mais Elkrydee wird heute in Berlin gemeinsam mit der friedenspolitischen Sprecherin der LINKE-Fraktion im Bundestag, Christine Buchholz, an einer Diskussionsveranstaltung »Ein Jahr Demokratiebewegung in Syrien« teilnehmen. Ort: nd-Gebäude Franz-Mehring-Platz 1, Berlin, Nähe Ostbahnhof, Seminarraum 1, 1. Stock, um 19 Uhr

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