Jenseits der Straßenkreuzung

Der Hamburger Verein »Crossover« bringt Kinder aus unterschiedlichen sozialen Milieus zusammen

  • Felix Meschede, epd
  • Lesedauer: 3 Min.
Familie, Schule, Freizeit: Viele Jugendliche tummeln sich ausschließlich in ihrem Stadtteil - für Stadtsoziologen eine bedenkliche Abschottung. Der Hamburger Verein »Crossover« will helfen, die Isolation zu überwinden. Sport soll Brücken bauen und Kontakte anbahnen.
Wettkampf in Hamburg-Alsterdorf: Der Sport soll Brücken bauen und Kontakte anbahnen.
Wettkampf in Hamburg-Alsterdorf: Der Sport soll Brücken bauen und Kontakte anbahnen.

Hamburg. Auf den ersten Blick sieht man ihnen nicht an, aus welchem Stadtteil sie kommen. In einer Sporthalle in Hamburg-Alsterdorf begegnen sich Schüler der Ganztagsschule St. Pauli und Schüler des altehrwürdigen Christianeum Gymnasiums aus Othmarschen zum Wettkampf. Das Treffen, organisiert und vorbereitet vom Verein »Crossover«, führt Kinder ganz unterschiedlicher Milieus zusammen: aus beiden Stadtteilgruppen wird eine Mannschaft.

Nur fünf Haltestellen

»Die sehen irgendwie alle aus wie Streber«, erinnert sich Gamze aus St. Pauli an ihre erste Begegnung mit den Othmarschern. Dann ergänzt sie lachend: »Aber ich mag Streber, ich will auch einer werden.« Mitspielerin Nele vom Chris-tianeum: »Wir haben gedacht, dass sie anders sprechen als wir. Aber im Projekt haben wir gelernt, dass der erste Eindruck nicht immer richtig sein muss.«

Das Treffen ist der Höhepunkt eines zehnwöchigen außerschulischen Angebotes in den Disziplinen Basketball, Breakdance und Beatboxen. Heute haben die Schüler Eltern und Freunde eingeladen, die begeistert Beifall spenden.

Viele der Schüler waren noch nie zuvor im jeweils anderen Stadtteil. Im Zeitalter scheinbar grenzenloser Mobilität klingt das unvorstellbar, zumal beide Quartiere nicht einmal fünf U-Bahn-Haltestellen voneinander entfernt liegen. Stadtsoziologen sehen darin ein besorgniserregendes Indiz der Abschottung. Je geringer das Einkommen sei, das Bewohner zur Verfügung haben, desto niedriger sei auch ihre persönliche Reichweite, erläutert Professorin Annette Spellerberg von der TU Kaiserslautern. Allerdings gebe es bislang keine Studie, die das Mobilitätsverhalten von Menschen in ihren Städten qualifiziert untersucht hätte: »Das muss dringend nachgeholt werden«, denn dieses Phänomen sei nicht mehr auf Großstädte wie Hamburg oder Berlin beschränkt.

Eine Mutter bringt es auf den Punkt: »Mit der Wahl der Schule ist das weitere Leben so gut wie vorbestimmt.« Freunde, Familie, Freizeit, die Sozialisation der Jugendlichen hängt immer eng mit dem Stadtteil zusammen. »Mein Mann ist Busfahrer«, erklärt sie. Er beobachte, dass sich die »Jugendlichen in jedem Stadtteil anders verhalten. Manche grüßen, einige sind arrogant, andere haben keinen Respekt.«

»Die Schüler leben bei uns wie auf dem Mond«, gibt ein Lehrer des Gymnasiums zu bedenken. »Sie sind unter ihresgleichen und haben kaum Anreize, diesen Kreis zu verlassen.« Deshalb sei der persönliche Austausch mit anderen Jugendlichen so wichtig.

Anpfiff auf dem Basketballfeld. Die Schüler haben mit den ganz Großen des Sports trainiert. 2,15 Meter misst der deutsche Rekordnationalspieler Patrick Femerling, der vom Spielfeldrand aus sein Team unterstützt.

Schließlich ein Team

Sein Kollege Hinnerk Smolka, ein Unternehmensberater, ist zwar einen Kopf kleiner, aber genauso versiert im Umgang mit den Kids: »Am Anfang gehen die Jugendlichen sehr verhalten aufeinander zu, doch nach zehn Wochen Training sind sie zu einem Team zusammengewachsen.« Dann haben sie entdeckt, dass die anderen gar nicht so anders sind. Die Gründerin von »Crossover«, Julia von Dohnanyi, ist selbst Mutter zweier Kinder. Sie weiß, dass für viele Jugendliche die Welt hinter der nächsten Straßenkreuzung aufhört. »Wir wollen, dass die Jugendliche aus unterschiedlichen Stadtteilen miteinander ins Gespräch kommen.« Mittel zum Zweck sind Sport und Kultur.

»Crossover« organisiert Wettkämpfe in Teamsportarten, vor allem Basketball. In der Mannschaft müssen sich die Jugendlichen arrangieren, suchen gemeinsam den Erfolg. Außerdem setzt der Verein auf Angebote aus der Straßenkultur-Szene wie Graffiti, Rappen, Breakdance und Beatboxen. Bisher haben über 20 Schulen mit rund 5000 Schülern bundesweit an Workshops teilgenommen.

Das Basketballspiel geht unentschieden aus. »Wir haben so viel trainiert und unser gemeinsames Ziel erreicht«, sagt der elfjährige Can aus St. Pauli stolz. Ein Sieg war für keine Mannschaft drin - eine Niederlage allerdings auch nicht.

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