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  • Tagesthema: Atomgipfel in Seoul

Keine atomare Sicherheit ohne Abrüstung

Beim Gipfeltreffen in Seoul geht es um die Sicherung von Nuklearmaterial

  • Wolfgang Kötter
  • Lesedauer: 4 Min.
Wie gut sind die Tausenden Tonnen von Nuklearmaterial, die auf der ganzen Welt verstreut lagern, gegen Diebstahl und Nuklearterrorismus gesichert? Auf dem am Montag beginnenden Gipfeltreffen in Seoul wollen Spitzenpolitiker aus über 50 Staaten Antworten auf diese Frage finden und nach Wegen zur Gefahrenabwendung suchen.

Experten der Washingtoner Initiative gegen die nukleare Bedrohung (Nuclear Threat Initiative - NTI) haben zu Jahresbeginn besorgniserregende Fakten auf den Tisch gelegt. Sie haben die Sicherheit von Atommaterial in 176 Ländern untersucht und nach fünf Kriterien bewertet: Anzahl der Lagerstätten und Menge an hochangereichertem Uran und Plutonium, Schutzvorkehrungen in den Atomlagern, Transparenz und Umsetzung von Sicherheitsstandards, Fähigkeit und Bereitschaft zur Anwendung dieser Standards sowie soziale Faktoren wie politische Stabilität, Korruption und Existenz von Gruppen, die nach Atommaterial streben.

Den Schwerpunkt legen die Wissenschaftler auf jene 32 Staaten, die über mehr als ein Kilogramm waffenfähiges Nuklearmaterial verfügen. Einige der untersuchten Stätten seien gut gesichert, viele jedoch nicht, so dass waffenfähiges Atommaterial gestohlen oder auf dem Schwarzmarkt an Terrororganisationen verkauft werden könnte, heißt es in der Studie. »Die globale nukleare Sicherheit ist nur so stark wie das schwächste Kettenglied«, mahnt der NTI-Covorsitzende, der ehemalige US-Senator Sam Nunn.

Als sicherste Länder stufen die Experten Australien, die Schweiz, Ungarn und Tschechien ein. Deutschland nimmt gemeinsam mit Belgien und Großbritannien den zehnten Platz ein. Am Ende rangieren Nordkorea, Pakistan und Iran. Die Verfasser der Studie empfehlen als vordringliche Maßnahmen zur Gefahrenabwendung: Waffenfähiges Nuklearmaterial so weit wie möglich zu vernichten; für Lagerstätten und Transporte strengste Sicherung, Schutz und Bestandsaufnahmen anzuwenden; alle Anreicherungs- und Wiederaufbereitungsanlagen unter Kontrolle der Atomenergieorganisation IAEA zu stellen und relevante Nuklearverträge einzuhalten. Auf internationaler Ebene verlangen die Autoren ein globales Sicherheitssystem für Nuklearmaterial. So richtig und dringlich derartige Maßnahmen auch sind, sie dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass dauerhafte nukleare Sicherheit letztlich auch die Beseitigung der Atomwaffen, also die nukleare Abrüstung erfordert.

Die in Seoul versammelten Politiker haben nun die Aufgabe, Empfehlungen in verbindliche Maßnahmen und Verpflichtungen umzusetzen. Schließlich haben sie sich bereits vor zwei Jahren beim ersten Gipfeltreffen dieser Art in Washington auf Hauptprinzipien der Zusammenarbeit geeinigt und ihren politischen Willen bekräftigt, das höchstmögliche Maß an Nuklearsicherheit herzustellen.

Einer von der renommierten »Arms Control Association« veröffentlichten Studie zufolge sind bisher 80 Prozent der damals eingegangenen Verpflichtungen eingelöst worden. So hat etwa Kasachstan 13 Tonnen hochangereichertes Uran (HEU) und Plutonium gesichert. Chile und die Ukraine haben alle ihre HEU-Vorräte vernichtet und Russland die Produktion von Plutonium eingestellt. Außerdem haben Moskau und Washington vereinbart, jeweils 34 Tonnen Plutonium zu entsorgen, ausreichend für den Bau von 17 000 Atomwaffen.

Gegenüber der damaligen Tagesordnung, bei der es vor allem um die Sicherung der bestehenden Lagerstätten von hochangereichertem Uran und Plutonium ging, wurde das Programm nun um das Thema radiologische Sicherheit erweitert. Eine radiologische Waffe, auch »schmutzige Bombe« genannt, zählt nicht zu den Atomwaffen. Zwar ist auch radioaktives Material im Spiel, aber es wird nicht durch eine Kernspaltungsexplosion freigesetzt. Vielmehr handelt es sich um einen konventionellen Sprengsatz, in dessen Innerem sich nukleare Isotope, beispielsweise Strontium, Cäsium oder Kobalt, befinden. Durch die Explosion können radioaktive Substanzen über weite Flächen verbreitet werden, und die Strahlung würde ganze Städte und Regionen auf lange Zeit unbewohnbar machen. Quellen für radioaktives Material können medizinische Geräte oder Abfall von Atomkraftwerken sein.

»Manche Leute glauben nicht daran, dass es ein reales Risiko gibt«, erklärt der Wiener Behördenchef Yukiya Amano, »aber die IAEA besitzt eine Datenbank und durchschnittlich alle zwei Tage erhalten wir Informationen über den illegalen Handel mit nuklearem oder radioaktivem Material, und das könnte nur die Spitze des Eisbergs sein.« 147 Fälle von Verlust, Schmuggel oder unrechtmäßigem Besitz nuklearen und weiteren gefährlichen Materials bzw. anderer illegaler Nuklearaktivitäten registrierte die IAEA allein 2011.

Der Missbrauch von Strahlungsmaterial zum illegalen Waffenbau ist also eine akute Gefahr. Bei der Genfer Abrüstungskonferenz steht die Ächtung radiologischer Waffen deshalb seit langem auf der Tagesordnung. Angesichts der andauernden Handlungsunfähigkeit der Konferenz wurden aber in jüngster Zeit Überlegungen laut, dass interessierte Staaten Vertragsverhandlungen außerhalb des UN-Rahmens beginnen könnten. Auch darüber werden die Teilnehmer des Gipfeltreffens zu sprechen haben.

Zwischenfälle

Auch in jüngerer Vergangenheit gab es immer wieder Zwischenfälle mit nuklearem Spaltmaterial.

Kasachstans Zoll nahm am 29. Februar 2012 auf dem Flugplatz von Almaty einen Mann fest, in dessen Gepäck sich fünf »radioaktive Quellen« und Zubehör sowie eine Ladevorrichtung befanden. Der 55-jährige US-Amerikaner wollte mit dem Material nach Taschkent im Nachbarland Usbekistan fliegen. Ihm drohen bis zu fünf Jahre Haft. Wie die Zeitung «Al Ahram« informierte, wurde in Ägypten im Januar 2012 aus einem Tresor auf dem Gelände des im Bau befindlichen AKW Dabaa radioaktives Material gestohlen. Im Dezember 2011 fingen Russlands Zollbehörden in Moskau radioaktives Material ab, das für Iran bestimmt war. In der Republik Moldova verhafteten Ermittler im Juni 2011 eine sechsköpfige Gruppe Schmuggler, die einen Behälter mit Uran-235 ins Ausland verkaufen wollte. Nach offiziellen Angaben haben die Behörden in Georgien im März 2010 einen Schmuggel mit hochangereichertem Uran aufgedeckt. Das georgische Innenministerium nahm mehrere verdächtige Ausländer fest. (W.K. )

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