Afrikas schleichende Vergiftung

Schimmelgifte gefährden Millionen Menschen im tropischen Afrika: Wachstumsstörungen und Leberkrebs sind die Folgen

  • Lucian Haas
  • Lesedauer: 4 Min.
Auch wenn die drohende Hungerkatastrophe im südlichen Afrika durch den derzeit in Johannesburg tagenden UNO-Umweltgipfel etwas aus den Medien verdrängt wurde, bedroht sie weiterhin das Leben von rund 13 Millionen Menschen. Auch zuvor nahezu unbemerkt droht andernorts auf dem schwarzen Kontinent selbst jenen Unheil von ihrem täglich Brot, die davon genug zu haben scheinen: Pilzgifte (Mykotoxine) belasten in West-Afrika die Ernte von Mais und Erdnüssen so stark, dass sie das Immunsystem von Kindern schwächen und bei Erwachsenen lebensbedrohende Krankheiten wie Leberkrebs verursachen. Es ist eine schleichende Katastrophe, deren Ausmaß erst jetzt langsam von der Wissenschaft erfasst wird, obwohl sie vermutlich seit langem im Gange ist. Alarmierende Erkenntnisse liefert eine jüngst im »British Medical Journal« (BMJ, Vol. 325, S. 20-21) veröffentlichte Studie: Epidemiologen von der Universität Leeds untersuchten gemeinsam mit einer Forschergruppe des nigerianischen International Institute of Tropical Agriculture (IITA) die Gesundheit von 480 Kindern im Alter zwischen neun Monaten und fünf Jahren. Die Kinder stammten aus 16 Regionen in Benin und Togo. Bei 475 von ihnen (99 Prozent) fanden die Forscher deutliche Spuren des Pilzgiftes Aflatoxin im Blut und eine dadurch verursachte Schwächung des Immunsystems. Zudem zeigte jedes dritte Kind ein vermindertes Körperwachstum und war untergewichtig. Das sind Symptome, die auch bei chronisch unterernährten Kindern auftreten - mit entsprechenden Folgen: Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation WHO kann Ernährungsmangel in der frühen Kindheit zu einer deutlich verminderten körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit im Erwachsenenalter führen. »In West-Afrika sind die Menschen schon in der Gebärmutter und dann ihr ganzes Leben lang hohen Aflatoxin-Konzentrationen ausgesetzt«, sagt Christopher Wild, Epidemiologe an der Universität Leeds und einer der Autoren der Studie. Seit Jahren erforscht er die Aflatoxin-Problematik in West-Afrika. Dabei konnte er zuvor bereits einen Zusammenhang zwischen aflatoxinbelasteter Nahrung und Leberkrebs bei Erwachsenen - vor allem Männern - nachweisen. Jeder zehnte Mann in West-Afrika stirbt an Leberkrebs. Aflatoxine sind Stoffwechselprodukte des Schimmelpilzes Aspergillus flavus. Dieser vermehrt sich auf Nahrungsmitteln, und das besonders stark im tropischen Klima West-Afrikas, zumal bei ungünstigen Lagerungsbedingungen der Ernteprodukte. »Aflatoxine entstehen, wenn die Lager zu feucht sind«, sagt Stephan Krall, Leiter der Beratungsgruppe entwicklungsorientierter Agrarforschung (BEAF) bei der Gesellschaft für technische Zusammenarbeit (GTZ). In West-Afrika würden zum Teil große, aus Europa importierte Silos aus Stahl eingesetzt, die nicht an die dort herrschenden Klimabedingungen angepasst seien. An den Innenwänden der Silos bilde sich Kondenswasser und schaffe damit ideale Bedingungen für die Schimmelpilze, so Krall. Kaum besser ist die bei Kleinbauern übliche Praxis, die Ernte lange auf dem Feld stehen zu lassen, weil sie sich keine eigenen Speicher leisten können. Fraßschäden durch Insekten sind die Folge. Und jedes angeknabberte Maiskorn wird zum Einfallstor für Schimmelpilze, die sich dann in den Pflanzen ausbreiten und dort Aflatoxine und weitere Mykotoxine produzieren. Besonders problematisch: Die Bauern können den Aspergillus-Pilz auf ihrer Ernte gar nicht erkennen, weil er klein und farblos ist. Die giftigen Aflatoxine werden auch durch das Kochen der Nahrung nicht zerstört. Wissenschaftler des Agrarforschungszentrums IITA, die in verschiedenen Regionen West-Afrikas gelagerte Maisbestände untersuchten, fanden in zehn bis fünzig Prozent der Proben Aflatoxine in Konzentrationen, die weit über dem von der WHO empfohlenen Grenzwert von zwei Mikrogramm Aflatoxin pro Kilogramm Nahrung lagen. Viele Proben erreichten Werte von rund 100 Mikrogramm Aflatoxin pro Kilogramm, mit Spitzenwerten bis zu 1000 Mikrogramm. Am IITA erforschen derzeit Agrar- und Pflanzenexperten biologische Methoden, wie das Wachstum der Pilze auf den gelagerten Erntebeständen eingeschränkt werden kann. Sie wollen Pilzstämme von Aspergillus flavus finden, die keine Aflatoxine produzieren. Diese Stämme sollen dann vermehrt und gezielt ausgebracht werden, um die gefährlichen Pilzarten zu verdrängen. »Noch ist völlig unklar, ob das funktioniert«, sagt GTZ-Experte Krall. Um das zu klären, hat das deutsche Entwicklungshilfeministerium BMZ den Agrarforschern mehr als eine Million Euro zur Verfügung gestellt. IITA entwickelt und testet auch neue Lagerungssysteme, die es den Bauern ermöglichen sollen, ihre Ernte sicher und zugleich kostengünstig zu lagern. Krall: »Die Schimmelpilzbildung von vornherein zu verhindern ist der beste Weg, um das Aflatoxin-Problem in den Griff zu bekommen.« Für die westafrikanischen Länder könnte das nicht nur mit Blick auf die Volksgesundheit, sondern auch wirtschaftlich von großer Bedeutung sein. Denn sobald ein Produkt die Aflatoxin-Grenzwerte überschreitet, darf es nicht mehr nach Europa oder Nordamerika exportiert werden. Damit gehen den afrikanischen Bauern wichtige Exportmärkte verloren. Weitere Infos im Internet: http://www.beaf.de Die Studie des British Medical Journal online: http://bmj.com/cgi/content/full/325/7354/20

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