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Ein begrenztes Recht zur Arbeitsverweigerung

Leserfrage zur Arbeitsverweigerung und ihre Berechtigung

  • Lesedauer: 6 Min.

Mein Betrieb hat mir nun schon den zweiten Monat keinen Lohn mehr gezahlt, weil er sich anderweitig finanziell »übernommen« hat. Ich bin deshalb einfach zu Hause geblieben. Jetzt bekam ich wegen Arbeitsverweigerung die Kündigung. Wie ist in diesem Fall die Rechtslage für mich?
Lothar B., Greifswald

Manche Arbeitnehmer haben irgendwann einmal davon gehört oder gelesen, dass sie die Arbeitsleistung verweigern können, wenn vom Arbeitgeber die Lohnzahlung ausbleibt. Das ist richtig. Um aber die beabsichtigte Rechtswirkung, nämlich die sofortige Lohnzahlung, zu erreichen, ist dieses Recht an bestimmte gesetzliche Voraussetzungen gebunden.

Es handelt sich um das sogenannte Zurückbehaltungsrecht nach den §§ 273, 274 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), ein auch für das Arbeitsverhältnis geltendes Leistungsverweigerungsrecht, wonach der Schuldner das Recht hat, seine Leistung zu verweigern, bis der Gläubiger die ihm obliegende und fällige Leistung erbracht hat.

Auf das Arbeitsverhältnis übertragen heißt das: Der Arbeitnehmer (hier der Schuldner der Arbeitsleistung) hat das Recht, seine Arbeitsleistung zurückzuhalten, um den Arbeitgeber (also der Gläubiger der Arbeitsleistung) aufzufordern, die rückständige und bereits fällige Lohnzahlung zu realisieren.

Fürs Zurückbehaltungsrecht gelten zwei Grundsätze

Für das Zurückbehaltungsrecht des Arbeitnehmers als Reaktion auf ausbleibende Lohnzahlungen gelten zwei Grundsätze, deren Kenntnis für den Arbeitgeber wie für den betroffenen Mitarbeiter gleichermaßen wichtig sind:

1. Der Arbeitnehmer muss die Realisierung seines Rechts geltend machen, das heißt, er hat dem Chef unter Angabe des Grundes klar und eindeutig mitzuteilen, dass er sein Recht auf Grund des für einen bestimmten Zeitabschnitt eingetretenen Lohnrückstandes wahrnehmen wird. Der Mitarbeiter darf somit nicht einfach »wegbleiben«. Denn der Chef macht daraus ohne Weiteres ein unentschuldigtes Fehlen, das zumindest zur Abmahnung, unter Umständen sogar zur Kündigung führen kann.

Es reicht vielmehr schon, wenn der Mitarbeiter beim Chef vorstellig wird und die Lohnzahlung einfordert oder im undurchsichtigen Hinhalte- oder gar Ablehnungsfall die Arbeitsverweigerung ankündigt. Dieses Recht kann übrigens auch von mehreren Mitarbeitern kollektiv ausgeübt werden, ohne dass den Betroffenen der Vorwurf »wilden Streiks« und die Entlassung droht (Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 25. Oktober 1984, Az. 2 AZR 417/83).

2. Übt der Mitarbeiter berechtigterweise ein Arbeitsverweigerungsrecht aus, schuldet der Arbeitgeber ihm dennoch für diese Zeit nicht geleisteter Arbeit weiterhin die Vergütung. Das ergibt sich aus den §§ 615 und 298 BGB, wonach die Vergütung trotz Nichtleistung der Arbeit aus Annahmeverzug zu zahlen ist. Insofern ist das Zurückbehaltungsrecht des Mitarbeiters ein den Arbeitgeber empfindlich und deshalb auch wirksam treffendes Mittel, dem Mitarbeiter den zustehenden und fälligen Lohn zu zahlen.

Nicht selten hört man insbesondere von Chefs kleinerer Unternehmen, dass ihre Auftraggeber trotz Auftragserfüllung zahlungsunwillig sind und demzufolge auch die Lohnzahlungen an die Mitarbeiter defizitär sein können. Das ist in der Tat eine prekäre Situation. Bekanntlich haben solche Zahlungsunwilligen andere Unternehmen in den Ruin getrieben.

Aber Tatsache ist auch, dass die Mitarbeiter auf den Lohn zum Lebensunterhalt angewiesen sind und die von ihnen arbeitsvertraglich geforderte Arbeitsleistung erbracht haben, womit der Anspruch auf Lohn begründet ist. Das Betriebsrisiko, das ein Unternehmer nun einmal hat, kann er nicht einfach auf die Mitarbeiter verlagern.

Wann darf der Arbeitnehmer die Arbeit nicht verweigern?

Um den missbräuchlichen oder leichtfertigen Gebrauch des Zurückbehaltungsrechts im Arbeitsverhältnis zu unterbinden, hat die Rechtsprechung schon frühzeitig und wiederholt zum Ausschluss und zur Begrenzung dieses Arbeitsverweigerungsrechts Stellung genommen. Richtungsweisend ist hier die eingangs zitierte Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom Oktober 1984.

Der Arbeitnehmer darf demnach bei rückständigem Arbeitsentgelt die Arbeitsleistung nicht verweigern, wenn einer der folgenden Sachumstände vorliegt:

● Es darf sich nicht nur um einen geringfügigen Zahlungsanspruch handeln. Das heißt, die Höhe muss schon für den Arbeitnehmer erheblich sein. Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg hat hierfür unlängst einen gewissen Maßstab genannt. Es erklärte das Zurückbehaltungsrecht an der Arbeitsleistung für rechtmäßig, wenn der Vergütungsrückstand in Höhe von 1,5 Monatsverdiensten beträgt. Dieser Betrag sei für den Arbeitnehmer erheblich, weil er auf »die laufenden Einkünfte aus seiner Berufstätigkeit angewiesen« ist (Urteil des LAG Berlin-Brandenburg vom 17. Februar 2012, Az. 10 Sa 1646/11).

● Es darf sich nicht nur um eine kurzfristige Zahlungsverzögerung handeln. Eine Verzögerung von wenigen Tagen reicht nicht aus. Es muss aber für den Mitarbeiter Anhaltspunkte geben, die auf eine nur kurzfristige Verzögerung schließen lassen, wenn beispielsweise der Chef ankündigt, dass sich die Gehaltsüberweisung um eine Woche verzögern werde.

● Durch die Arbeitsverweigerung darf dem Arbeitgeber nicht ein unverhältnismäßig hoher Schaden drohen. Das wäre beispielsweise der Fall, wenn eine größere Warensendung nicht abgeholt würde, ein größerer Lebensmittelbestand zu verderben droht oder auf einem Bau notwendige Abdeckungen ausbleiben, obwohl ein Unwetter droht. Der Arbeitgeber muss die Mitarbeiter darauf hinweisen, welche schwerwiegenden Folgen durch die Arbeitsverweigerung eintreten würden, die in einem groben Missverhältnis zur beabsichtigten Aufforderung zur Lohnzahlung stünden.

● Wenn das rückständige Arbeitsentgelt auf andere Weise gesichert wird, zum Beispiel durch die Gewährung von Insolvenzgeld durch die Arbeitsagentur.

Wie wichtig die Beachtung dieser Grenzen des Leistungsverweigerungsrechts sind, zeigt die Rechtsprechung. So stellte das Bundesarbeitsgericht in einem Kündigungsrechtsstreit wegen unentschuldigten Fehlens fest, dass solch ein pflichtwidriges Verhalten des Arbeitnehmers erheblich ist und eine Kündigung berechtigt wäre. Hingegen ist der berechtigte Gebrauch des Zurückbehaltungsrechts kein unentschuldigtes Fehlen. Eine Kündigung oder fristlose Entlassung sei demzufolge rechtswidrig und unwirksam (Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 13. März 2008, Az. 2 AZR 88/ 07).

Der Handlungszwang des Arbeitgebers

Praktisch bedeutsam ist das Arbeitsverweigerungsrecht der Arbeitnehmer auch im Zusammenhang mit den Arbeitgeberpflichten im Gesundheits- und Arbeitsschutz. Dies folgt aus § 618 BGB und den jeweiligen Arbeitsschutzvorschriften. Bekannt sind Fälle, wonach bei Überschreitung von Schadstoffkonzentrationen, fehlenden Schutzmaßnahmen bei Gefahrenstoffen und fehlenden Arbeitsschutz- und Sicherheitsausrüstungen zumeist schon die Androhung von berechtigten Arbeitsverweigerungen ausreichten, um die Mängel zu beseitigen.

Zu den Arbeitgeberpflichten gehört auch, seine Arbeitnehmer vor Beleidigungen und Verletzungen des Persönlichkeitsrechts durch Vorgesetzte oder andere Mitarbeiter zu schützen. Das ist ein heikles Thema und bedarf sicher einer gesonderten Erörterung. Hier nur so viel:

Einschlägig betroffene Arbeitnehmer, die ihren Chef klar und eindeutig auf die persönlichen Beeinträchtigungen (sexuelle Belästigungen, unflätige Beschimpfungen, Bedrohungen) hingewiesen haben, ohne dass überhaupt eine oder eher wirkungslose Reaktion des Chefs erfolgte, können mit dem Zurückbehaltungsrecht reagieren.

Im Hinblick auf Mobbingvorwürfe reicht indes ein »pauschales Berufen auf einen Mobbingsachverhalt« nicht aus, um den Arbeitgeber zu wirksamen Gegenmaßnahmen zu veranlassen. Es bedarf dann schon der »hinreichenden Konkretisierung der behaupteten Pflichtverletzungen«. Die Ausübung des Arbeitsverweigerungsrechts durch den angeblich »gemobbten« Arbeitnehmer wäre eine unzulässige Rechtsausübung.

Prof. JOACHIM MICHAS

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