Viel Schuften für wenig Geld

DIW: Niedriglöhner arbeiten teilweise über 50 Stunden pro Woche

  • Grit Gernhardt
  • Lesedauer: 3 Min.
Eine neue Studie zeigt, dass die Arbeitsbelastung besonders bei Menschen mit niedrigem Einkommen oft sehr hoch ist. Opposition und Gewerkschaften fordern Mindestlöhne.

50 Stunden wöchentlich im Büro, in der Fabrikhalle oder auf der Baustelle schuften? Sicher nicht der Traum der meisten Arbeitnehmer und dennoch oft Realität. Besonders viel Zeit an ihrem Arbeitsplatz verbringen laut einer aktuellen Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung Berlin (DIW) ausgerechnet diejenigen mit besonders niedrigen Einkommen - mit allen negativen Folgen für Gesundheit und Familienleben. Fast 900 000 der 7,3 Millionen Geringverdiener in Deutschland arbeiten demnach mindestens 50 Stunden pro Woche, um überhaupt auf einen Lohn zu kommen, der ihnen die Existenz sichert.

Und die Folgen dieser Anstrengungen zeichnen sich bereits ab: Laut dem Gesundheitsreport der Krankenkasse DAK haben sich psychische Erkrankungen bei Arbeitnehmern in den vergangenen 15 Jahren mehr als verdoppelt. In einer Befragung der Krankenkasse unter 3000 Beschäftigten fühlte sich jeder fünfte stark oder sehr stark durch Zeitdruck aufgrund hohen Arbeitsaufkommens belastet; zehn Prozent empfanden es als sehr belastend, häufig Überstunden machen zu müssen.

Überhaupt dürfte es die vom DIW ermittelten Arbeitszeiten eigentlich gar nicht geben: Das deutsche Arbeitszeitgesetz, das für Arbeitnehmer und Arbeitgeber verbindlich ist, verbietet eine durchschnittliche Wochenarbeitszeit von mehr als 48 Stunden ausdrücklich. Kontrolliert werden kann das jedoch kaum.

Und so arbeiten die 3,5 Millionen Vollzeit-Niedriglöhner in Deutschland durchschnittlich knapp 45 Stunden pro Woche; auf ähnliche Arbeitszeiten kommen sonst nur Gutverdiener mit einem Bruttoeinkommen von über 4800 Euro. Trotz aller Anstrengungen erreichen erstere aber am Monatsende kaum einen Betrag, der für Essen, Wohnung und Kleidung ausreicht, geschweige denn für einen Urlaub: Bei einem Viertel der vollzeitbeschäftigten Niedriglöhner stehen nicht einmal 1200 Euro brutto auf dem Gehaltszettel. Kaum verwunderlich bei einem Durchschnittsstundenlohn von gerade einmal 7,18 Euro.

Ein Argument für den Mindestlohn sieht das DIW in den selbst ermittelten Fakten trotzdem nicht: Die meisten Niedriglohnbeschäftigten lebten demnach in Haushalten mit weiteren Verdienern oder bekämen zusätzlich Rente oder BAföG, weshalb sie ihren Niedriglohn nicht mit Hartz IV aufstocken müssten. Nur 230 000 vollzeitbeschäftigte Niedriglöhner bezögen Arbeitslosengeld II. Unter ihnen seien zudem kaum Alleinerziehende, so der Bericht.

Diese Sichtweise bezeichnete die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) als »zynisch«: »Das eine ist die Statistik, das andere sind die Menschen, die 50 oder sogar mehr Stunden wöchentlich schuften und ihre Gesundheit aufs Spiel setzen, weil sie vermeiden, ihr Einkommen aufzustocken«, sagte NGG-Vorsitzender Franz-Josef Möllenberg.

Oppositionsparteien und Gewerkschaften bekräftigten ihre Forderungen nach einem allgemeinen Mindestlohn, auch wenn man sich über dessen Höhe uneins ist. Jutta Krellmann, Sprecherin für Arbeit und Mitbestimmung bei der Bundestagsfraktion der Linkspartei, sagte, ein gesetzlicher Mindestlohn von zehn Euro pro Stunde sei »ein zentraler Baustein«, um die »soziale Ordnung auf dem Arbeitsmarkt wiederherzustellen«.

DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach forderte die Regierung auf, endlich einen Mindestlohn von mindestens 8,50 Euro einzuführen und zudem die Einhaltung des Arbeitszeitgesetzes stärker zu kontrollieren. »Wer regelmäßig 50 Stunden und mehr arbeiten muss, gefährdet seine Gesundheit, das gilt für Geringverdiener und Normalbeschäftigte gleichermaßen«, fasste Buntenbach zusammen. Laut NGG-Vorstand Möllenberg hätten mit einem solchen Mindestlohn 6,8 Millionen Menschen Anspruch auf mehr Geld. Die NGG vertritt die Beschäftigten im Gastgewerbe, die neben Kraftfahrern und Lagerarbeitern besonders oft von Niedriglöhnen leben müssen.

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