Glücksgriff

Händels »Xerxes« an der Komischen Oper

  • Irene Constantin
  • Lesedauer: 4 Min.
Wenn die Komische Oper schon mal zu Händel griff, tat sie Glücksgriffe. Unvergessen »Giustino« mit all seinen Herrlichkeiten oder das Wettsingen der Countertenöre Axel Köhler und Jochen Kowalski in »Julius Cäsar«. Nun also »Xerxes«. Und: Regisseur Stefan Herheim überbot mit seinem Bühnenzauber beide Inszenierungen. Unmöglich zu sagen, wer das Glücksrad dieser Produktion am kräftigsten drehte: das überwältigende Solistenensemble, Konrad Junghänel und das Orchester der Komischen Oper, die Techniker oder das Inszenierungs-Ausstat-tungs-Dramaturgen-Team. Irgend-wo im magischen Raum zwischen schierem Wunder und leidenschaftlicher Professionalität entstand, was man Theaterkunst, besser, was man Komödie nennt.

Mit dem »Xerxes« hat Händel die ganze Intrigenhäkelei der Opera seria auf das Spitzen-Deckchen getrieben. »Dramma giocoso« hätte Mozart gesagt. Heike Scheele hat für Herheims perfekt abrollendes Inszenierungs-Uhrwerk ein ideales Händel-Theater mit Schnürboden und Gassen, mit Garderoben und Kulissen, mit Maschinen und Courtinen auf die Bühne gestellt. Es dreht sich, rückt vor, rückt zurück; Primadonnen und Kastraten spielen ihre Rollen auf der Bühne und backstage und oben und unten in diesem Labyrinth. Irgendwann kracht alles zusammen - man hat mit Kanonen auf Spatzen geschossen - aber das Spiel geht munter weiter im Theater auf dem Theater.

Das Geniale in Herheims Inszenierung: Die Zustände und Perspektiven der Bretter, Pappen und Leinwände und die Stellen, an denen gerade gesungen wird, sind genaue Spiegel der Zustände und Perspektiven der handelnden Männer und Frauen. Wobei die Geschlechterfrage, in der Barockoper sowieso, aber in dieser Inszenierung im Besonderen, ihren eigenen Gesetzen gehorcht. Der Titelheld, für einen Kastraten komponiert, wird von Stella Doufexis gesungen, deren Männerkleider - Fantasie-Explosionen von Gesine Völlm - und gesangsbeseelte Körpersprache androgyn genug sind, um Johnny Depps Popstar-Ästhetik aus dem »Fluch der Karibik« zu übertreffen.

In Xerxes, den »SexRex«, verliebt ist Amastris. Sie verkleidet sich als Mann, um dem Ungetreuen auf die Schliche zu kommen, und Katarina Bradics klangsatter Alt klingt auch tiefer als Doufexis’ lieblicher Mezzo. Xerxes wiederum liebt mit Romilda eine eindeutige Frau, die aber ihrerseits Xerxes’ Bruder bevorzugt und zudem eine Schwester hat, die ihr zwillingshaft ähnlich sieht.

Xerxes’ Bruder wird von Karolina Gumos als »gewöhnliche« Hosenrolle gesungen. Der eindeutige Mann ist Dimitry Ivashchenko, General und ordentlicher Bass. Diener Elviro ist gleich Mann und Frau auf einmal. Hagen Matzeit singt ihn mit Baritonstimme, aber sein Dienst bringt es mit sich, dass er als Blumenfrau agieren muss und das tut er mit seinen Counterfähigkeiten.

Was diese Personage drei Stunden lang tut, ist unbeschreiblich; jedenfalls hat jeder Hauptheld je eine Arie in allen barocküblichen Affekten. Es gibt kurze Stücklein, aber auch Stellen, bei denen sich die »Seria«-Kapricen selbst überschlagen. Alle singen wie losgelassen, als müssten sie kraft ihrer Stimmen die Welt bewegen, dabei kreist jeder ohne Unterlass nur um sich selbst.

Höhepunkt ist Xerxes’ große Liebesarie, ein tönendes Alphabet der erotischen Daseinsfreude. All den lustvoll aufgeheizten Eitelkeiten zuzuschauen und zuzuhören ist derart amüsant, dass Berlins mäkliges Opernpublikum über ein Schafsballett wie über eine Giftschlange, über Xerxes’ Sextrip wie über einen angeschossenen Amor in Gelächter ausbrach. Die Laune war glänzend und die Komik bei einem so tiefsinnig ernsten Menschen wie Stefan Herheim überdies völlig unerwartet.

Händels späte Oper spannt einen genialen Bogen zwischen dem frühbarocken Oben und Unten des Bühnenpersonals, etwa bei Monteverdi, und den Buffas der Mozart-Zeit. Stefan Herheim hat die darin wurzelnde Komik bis an die Grenze ausgereizt, indem er den »Xerxes« als Händel-Opern-Selbst-Parodie (Wer weiß, vielleicht war das Werk sogar so gedacht?) inszenierte.

Konrad Junghänel brachte das ganze Unternehmen dazu noch bis zur Überhitzungsgrenze auf Touren. Zum einen formte er das Solistenensemble der Komischen Oper zur höchst kompetenten Barock-Spezialtruppe, zum anderen ließ er das Orchester spielen, als hätten alle Beteiligten nie etwas anderes als 18. Jahrhundert auf ihren Notenpulten gehabt. Flotte Tempi, intensive Phrasierungen, knackige Staccati schufen eine Klangatmosphäre voller Wachheit und Esprit.

Das berühmte »Largo von Händel« lag allerdings gar nicht auf dieser Linie. Wer deswegen gekommen war, erlebte die einzige winzige Enttäuschung dieses großartigen Abends, dem eine lange Lebensdauer zu wünschen ist.

Nächste Vorstellung: 15.6.

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