Aufruf der Vernunft

Kommentar von Dieter Janke

  • Lesedauer: 2 Min.

Krisen liefern seit je einen üppigen Nährboden für irrationale Stimmungen. Darauf wuchern gerade einfache Erklärungen, die das »gesunde Volksempfinden« gefährlich-verlässlich bedienen. Die realen Hintergründe der Krise werden im Nebel gehalten - stattdessen werden vermeintliche Lösungen offeriert, die in der Vergangenheit nicht selten in sich selbst verstärkenden Katastrophenszenarien endeten.

Jene fast schon apokalyptische Erfahrung treibt offenbar die fünfzig europäischen Persönlichkeiten um, die in einem Aufruf quasi fünf vor zwölf zur nüchternen Analyse der Verwerfungen in der Eurozone und zur Mäßigung mahnen: »Gebt Griechenland mehr Zeit!«, lautet die Botschaft. Ein Austritt oder gar der von den Boulevardmedien wie auch aus manchen Politikerkreisen geforderte Rauswurf Griechenlands birgt in der Tat die Gefahr einer Verschärfung der Finanzkrise, die letztlich zu einer Implosion des Euro als solchem führen kann. Auch die überstanden geglaubte Bankenkrise feierte in der Folge fröhliche Urständ, und die Rezession von 2008/09 muss wahrscheinlich als bloßes Vorbeben eines noch dramatischeren Wirtschaftseinbruchs relativiert werden.

Bei den landläufigen Debatten um den bzw. die Schuldigen würden die bereits jetzt vielerorts zu vernehmenden nationalistischen Unter- und Nebentöne wohl noch deutlich vernehmbarer werden. Sollte indes der Druck auf die Hellenen etwas zurückgenommen werden, könnte die gewonnene Zeit für die Rückkehr zur Vernunft genutzt werden.

- Anzeige -

Andere Zeitungen gehören Millionären. Wir gehören Menschen wie Ihnen.

Die »nd.Genossenschaft« gehört ihren Leser:innen und Autor:innen. Sie sind es, die durch ihren Beitrag unseren Journalismus für alle zugänglich machen: Hinter uns steht kein Medienkonzern, kein großer Anzeigenkunde und auch kein Milliardär.

Dank der Unterstützung unserer Community können wir:

→ unabhängig und kritisch berichten
→ Themen ins Licht rücken, die sonst im Schatten bleiben
→ Stimmen Raum geben, die oft zum Schweigen gebracht werden
→ Desinformation mit Fakten begegnen
→ linke Perspektiven stärken und vertiefen

Mit »Freiwillig zahlen« tragen Sie solidarisch zur Finanzierung unserer Zeitung bei. Damit nd.bleibt.